Mit einem Brückenschlag zu einem anderen traditionsreichen Festival, den Salzburger Festspielen, wurde am Wochenende in Menton das 66. Musikfestival der südfranzösischen Stadt von der ‘Camerata Salzburg’ eröffnet. Tags darauf bescherte das Trio Vogt-Tetzlaff atemberaubende Kammermusikerlebnisse. Remy Franck war für Pizzicato dabei. Hier ist das Update unseres Artikels vom 2. August, mit den Festival-Photos.
Der Vorplatz der dem Erzengel Michael gewidmeten Basilika in Menton ist gewiss eine der spektakulärsten Festival-Spielstätten in Europa. Nach drei Seiten hin geschlossen, öffnet sich der hoch gelegene Platz linksseitig aufs Meer und, in der Ferne, die ligurische Küste Italiens. Das ergibt ein wunderbares und unvergleichliches Ambiente für jede wie auch immer geartete Musik, vom Barock bis zu unserer Zeit.
Die Akustik ist angenehm trocken, aber ganz ohne Fremdgeräusche geht es nicht: hin und wieder rattert ein Motorroller durch die Klassikklänge und auch Kindergeschrei dringt aus den umliegenden Straßen herein, genau wie der feine, verführerische Duft einer Fischsuppe aus den etwas tiefer gelegenen Restaurants im alten Hafen. Das alles macht den Reiz des Festivals aus, für das der künstlerische Leiter, Paul-Emmanuel Thomas, dieses Jahr Musiker wie Pinchas Zukerman, Christian Tetzlaff, Fabio Bondi, Franco Fagioli, Katya Buniatishvili und Fazil Say eingeladen hat. Das von der Stadt Menton und privaten Sponsoren finanzierte, zweiwöchige Festival, eines der traditionsreichsten in Europa, hat ein treues Publikum, das sich zu je einem Drittel aus Einwohnern der Region, Frankreichs und des Auslands zusammensetzt.
Das Eröffnungskonzert spielte die ‘Camerata Salzburg’ mit und unter Pinchas Zukerman. Den Auftakt machte das Streicherkonzert von Igor Stravinsky, das Zukerman rhythmisch fein ziselierte. Das Schräge der Komposition blieb dabei erhalten, wurde aber nicht überbetont. Der 67-jährige Zukerman war anschließend Dirigent und Solist in Mozarts Fünftem und letztem Violinkonzert, das er und die ‘Camerata Salzburg’ spielten, als sei in den letzten 25 Jahren in Sachen Aufführungspraxis nichts geschehen. Vielleicht wollte Zukerman mit seiner prosaischen Lesart aber auch nur den säbelschwingenden Erzengel Michael besänftigen, der hoch über der Festspielbühne die Basilika-Fassade ziert.
Energischer waren da schon die zupackend gespielten und ganz eigenwillig artikulierten Ecksätze des Ersten Violinkonzerts von Joseph Haydn, dessen langsamer Mittelsatz musikalisch sehr inspiriert und entsprechend schön gespielt wurde.
Beendet wurde der Abend mit Piotr Tchaikovskys Streicherserenade, deren Gefühlspotenzial Zukerman ausreizte, ohne die Musik klebrig werden zu lassen. Eleganz und viel innere Anmut prägten den Walzer. Verhalten, fast inbrünstig erklang der dritte Satz. Im vierten schließlich änderte sich die Atmosphäre nur ganz langsam, bis das Werk dann in der freudig bewegten Coda ausklang.
Zukerman, viel beklatscht, ließ sich zu einer originellen Zugabe inspirieren: er spielte von Johannes Brahms das Schlaflied ‘Guten Abend, gut’ Nacht’ und bat das Publikum mitzusingen oder mitzusummen, was sich die Leute nicht zweimal sagen ließen: der sanfte Wind vom Meer trug die zarte Melodie in den Himmel….
Zu Beginn des zweiten Konzerts, mit dem Trio Lars Vogt, Klavier, Christian Tetzlaff, Violine und Tanja Tetzlaff, Cello, hatte ich die Freude, als Jury-Mitglied des Toblacher Gustav Mahler-Schallplattenpreises, den drei Künstlern auf der Festivalbühne und unter dem Beifall des Mentoner Publikums die Trophäe des Preises zu überreichen, der ihnen eine Woche zuvor in Toblach zuerkannt worden war. Geehrt wurden sie als Mitglieder, respektive, für Lars Vogt, als künstlerischer Leiter des Ensembles ‘Spannungen’, das beim gleichnamigen Festival in Heimbach Erwins Steins Fassung für Kammerensemble der Vierten Symphonie Gustav Mahlers für Cavi aufgenommen hat. (https://www.pizzicato.lu/mahler-schallplattenpreise-in-toblach-vergeben/).
Besonders freute es mich, damit Christian Tetzlaff dieses Jahr bereits zum zweiten Mal einen Preis überreichen zu können, denn er ist ja ‘Artist of the Year’ der International ‘Classical Music Awards’ und wurde dafür in Ankara mit der Trophäe der ICMA ausgezeichnet.
Wie richtig die beiden Jurys lagen, diese Preise zu vergeben, zeigte das anschließende Konzert, in dem Tetzlaff und seine beiden Kollegen einen Grad an musikalischer Intensität und Kommunikation erreichten, wie er schwerlich zu überbieten ist.
Gleich im ersten Trio von Johannes Brahms, dem Opus 8, wurde das innere Drama des unerbittlichen, hoch leidenschaftlichen und mitunter gespenstischen ersten Satzes offenbar. Das sehr differenziert gestaltete Stück wurde zur emotionalen Achterbahnfahrt, die in ein Scherzo mündete, das ich noch nie so zerklüftet, bizarr und mit schon auf Mahler verweisenden grotesken Einschüben gehört hatte. Gerade bei diesem Satz schweifte mein Blick in die Ferne, hinüber zu jenem Felsen, auf dem sich seit Wochen erschütternde Flüchtlingsdramas abspielen, weil minderjährige Flüchtlinge aus Nordafrika und dem Balkan versuchen, auf illegalem Weg die Grenze zwischen Italien und Frankreich zu passieren, um in den Schutz der französischen Gesetzgebung zu kommen, die den Jugendlichen ein Aufnahmerecht zusichert. Das verdichtete, immer noch in meinen Gedanken, im anschließenden Adagio sinnbildlich die Leere des Lebens, die das Trio Vogt-Tetzlaff in dem kargen Satz beklemmend wiedergab. Auch im abschließenden Allegro erreichten die Musiker mit einer ungeheuren Dramatik und Intensität einen fast schaurigen Ausdruck.
Nach der Pause erklang Antonin Dvoraks drittes Klaviertrio, das Opus 65, dessen Allegro man non troppo kontrastreich und energetisch Gefühlswelten zwischen ‘zart’ und ‘wild’ erkundete. Sehr tänzerisch und manchmal kräftig bäuerlich stampfend kam das Scherzo daher, während die drei Musiker im Poco Adagio einen weiteren Höhepunkt erfüllen Musizierens von ungeahnter Tiefe erreichte. Das Allegro con brio beschloss dieses Trio in dramatisch drängender Art. Eine wunderbare Aufführung, die das Publikum vor der St. Michaels-Basilika zu Begeisterungsstürmen hinriss. Das Trio bedankte sich mit einem ungewöhnlichen Bis: statt eines brillanten Stücks erklang der zweite Satz aus Brahms’ c-Moll-Trio, eine schattenhaft-resignierte Musik, in dem das Trio Vogt-Tetzlaff die Kammermusikkunst noch einmal zum absoluten Höhepunkt des musikalisch Möglichen führte und ein Konzert krönte, das wohl den meisten Zuhörern unvergesslich bleiben wird.