3.493 Minuten Musik umfasst der erste Teil einer Anthologie der russischen Orchestermusik unter der Leitung von Evgeny Svetlanov. Diese Anthologie ist das größte Aufnahmeprojekt, das je ein einzelner Dirigent unternommen hat. Die Mehrzahl der Aufnahmen zog sich über 25 Jahre hin. Die meisten entstanden in den Siebziger- und Achtzigerjahren, einige wenige sind älter.
Viele der in dieser Box enthaltenen Aufnahmen sind noch nie zuvor auf CD erschienen, andere wurden schon von Melodiya oder von der Svetlanov-Stiftung veröffentlicht. Hier liegen sie nun ein einem neuen Remastering vor.
Die erste von drei geplanten Boxen behandelt die Anfänge der russischen Kunstmusik, also von den Anfängen einer russisch-nationalen Kunstmusiktradition mit den Werken Michail Glinkas über die Hauptwerke von Tchaikovsky und den populären Komponisten des « mächtigen Häufleins » (Borodin, Rimsky-Korsakov, Cui, Balakirev und Mussorgsky) bis hin zur Schwelle zur musikalischen Moderne im Werk Lyapunovs und Medtners.
Das Orchester, das in quasi all diesen Aufnahmen spielt, ist das heutige Staatliche Akademische Sinfonieorchester der Russischen Föderation, auch ‘Svetlanov Orchester’ genannt, damals ‘USSR Sate Academic Symphony Orchestra’.
Gegründet wurde diese Formation im Jahr 1936, der erste Chefdirigent war Alexander Gauk. Svetlanov übernahm das Orchester 1965 und dirigierte es bis 2000, als er von Mikhail Shvydkoi, dem damaligen Kulturminister, entlassen wurde, weil er angeblich zu viel Zeit im Ausland verbrachte. Seine Nachfolger wurden Vassily Sinaisky und, im Jahr 2002, Mark Gorenstein sowie Vladimir Jurowski (2011-heute).
In einigen wenigen Einspielungen ist auch das Bolschoi-Orchester zu hören.
Es gibt in dieser Box, abgesehen von der klassischen Musik von Glinka, nahezu nur Einspielungen, welche die ganz charakteristischen Merkmale von Svetlanovs Handschrift zeigen: Pulsierende, manchmal berserkerhafte Kraft, die die Musik an ihre Grenzen bringt, enorme Leidenschaft…
Die ersten CDs umfassen Musik von Mikhail Glinka (1804-1857), und sofort fällt dem Hörer, der an Melodiya-Aufnahmen gewöhnt ist, einiges auf: Melodiya-Einspielungen, insbesondere wenn sie aus den Sechzigerjahre stammen, sind meist klanglich etwas scharf, manchmal sogar grell und es fehlt an klanglicher Wärme. Das ist hier nicht der Fall, der Klang ist meistens gut, räumlich und ausgewogen.
Glinka hat keine großen symphonischen Werke hinterlassen, und was wir hier hören, sind Ouvertüren, Bühnenmusiken und Fragmente aus seinen Opern, insgesamt klassisch-unterhaltsame Stücke, die Svetlanov sehr lebendig und kraftvoll gestaltet.
Dass Svetlanov auch einer trivialeren Musik mit Unterhaltungswert höchste Qualität angedeihen ließ, zeigt eine sehr farbige und tänzerische CD mit kurzen Stücken von Alexander Dargomyzhsky, Anton Rubinstein und Eduard Napravnik.
Danach ist Alexander Borodin dran. Borodin (1833-1887), hauptberuflich Chemiker und Mediziner, im Nebenberuf aber ein erfolgreicher Komponist, hat in verschiedenen Gattungen unterschiedliche Resultate erzielt. Neben Orchesterstücken aus der Oper ‘Fürst Igor’ und der von Glazunov orchestrierten ‘Petite Suite’ konzentriert sich die Edition auf die drei Symphonien, von denen die dritte ein unvollendeter Torso ist. Die Einspielungen sind vor allem in den langsamen Sätzen sehr stimmungsvoll und haben weniger russische Pathos als bei anderen Dirigenten, und im Großen und Ganzen gewinnen die Kompositionen so an Vitalität und Farben. Svetlanov ist auch relativ schnell in den Tempi. Davon profitiert vor allem die wunderbare Zweite Symphonie, deren erster Satz sehr kohärent wirkt, rhetorisch durchformuliert, rhythmisch geschärft, spannungsvoll und energisch pulsierend. Sehr ausdrucksvoll sind auch die beiden Sätze der Dritten Symphonie.
Die Musiker des Staatlichen Symphonieorchesters bringen auch die zwei Symphonien und kleinere Werke von Balakirev mit brillantem Spiel zur Geltung.
Die beiden Mussorgsky-CDs enthalten selten gespielte Werke sowie die fulminante Aufführung der ‘Nacht auf dem Kahlen Berg’ und eine in den Tempi eher extreme Interpretation der ‘Bilder einer Ausstellung’ in der Ravel-Orchestrierung. Manches ist hier so langsam, dass die ansonsten guten Bläser des Staatsorchesters in Bedrängnis geraten.
Ein elegant-unverbindlicher, ‘lieblicher » Tschaikowsky ist ebenso wenig Svetlanovs Sache wie ein pathetischer. In den Symphonien kommt die spannungsgeladene Vehemenz daher nicht zu kurz: Mit relativer Strenge gelingt ein in sich sehr schlüssiger Zyklus. Wie Herbert von Karajan scheint Svetlanov zwar die ersten drei Symphonien aus Sicht des Spätwerkes zu interpretieren, aber dennoch erfasst er auch die früheren Werke so schlüssig, dass das Konzept bei ihm aufgeht. Seine Ideen hält Tchaikovskys Musik jedenfalls aus. Am Ende aber ist klar, dass Dmitrij Kitajenkos Zyklus der Tchaikovsky-Symphonie, ‘Manfred’ inklusive (Oehms Classics) dem von Svetlanov weit überlegen ist.
Die vielen Opernauszüge und die Ballettmusiken sind in sehr lebendigen und farbreichen Interpretationen zu hören. Gewiss, es gibt elegantere, feinsinnigere Aufnahmen, aber Svetlanovs Temperament nimmt immer wieder gefangen, nicht zuletzt, weil er sich auf ein sehr virtuoses Orchester verlassen kann. Unter den Balletten habe ich eine leichte Präferenz für den ‘Schwanensee’, der zweifellos mit den besten Einspielungen dieser Komposition rivalisieren kann.
Die Klavierkonzerte gibt es mit Elena Gilels und ihrem Vater Emil. Es sind kraftvolle und fein nuancierte Einspielungen. Rostropovich war 37 Jahre alt, als er mit Svetlanov die Rokoko-Variationen aufnahm, ohne jenen Grad an Klangschönheit zu erzielen, den er später mit Karajan erreichte. Das Violinkonzert fehlt in dieser Zusammenstellung.
Ein Highlight in dieser Box ist die Aufnahme der 3. Symphonie von Nikolai Rimsky-Korsakov. Svetlanov spornt sein Orchester zu einer sehr spielfreudigen Interpretation an. Neben den drei Symphonien sind die Festouvertüre das ‘Capriccio espagnol’ und Orchesterstücke und Suiten aus Opern von Rimsky-Korsakov in opulenten Interpretationen zu hören. Gerade in dieser Musik erreicht Svetlanov ein sehr hohes interpretatorisches Niveau. Die Suite ‘Scheherazade’ ist für meinen Geschmack etwas zu demonstrativ, zu bedeutungsschwanger geraten. Auf das ständige Akzentuieren von musikalischen Gesten hätte Svetlanov besser verzichten sollen.
Anatoli Lyadov (1855-1914) ist mit 13 kleineren Werken vertreten, die vorwiegend von Märchen und Legenden inspiriert wurden. In den acht russischen Volksliedern op. 58 ist auch Lyadovs Interesse für die russische Volksmusik zu hören. Svetlanov überzeugt mit sehr intensiven Interpretationen, und sein Orchester beeindruckt einmal mehr mit einem opulenten Klang.
Die beiden CDs mit Werken von Sergey Taneyev (1856-1915, Konzertsuite für Violine und Orchester mit Andrei Korsakov und die 4. Symphonie) schneiden im Vergleich mit den vorzüglichen Naxos-Aufnahmen mit dem Orchester aus Novosibirsk unter Thomas Sanderling eher schlecht ab, weil Thomas Sanderling der Musik eine Sauerstoffkur verordnete, die den Svetlanov-Aufnahmen erstaunlicherweise fehlt.
Sergei Lyapunovs Musik enthält spannende und langweilige Stücke. Selbst die beiden Symphonien sind sehr unausgeglichen. Svetlanov dramatisiert sie, dirigiert sie zügig und kann so den einen oder anderen Leerlauf überspielen. Auch die kleineren Werke bekommen so Mehrwert.
Aus den Symphonien von Anton Arensky (1861-1906) will Svetlanov ebenfalls ein Maximum von Eloquenz herausholen, während die drei Suiten (darunter die des Balletts ‘Ägyptische Nächte’) mit viel Charme erklingen.
Vasily Kalinnikov, der aus ärmlichen Verhältnissen kam und sein Musikerleben unter vielen Entbehrungen aufbaute, erhielt 1892 durch Vermittlung Pjotr Tchaikovskys den Dirigentenposten am Kleinen Theater in Moskau. 1893 wurde er Dirigierassistent am Italienischen Theater. Er erkrankte an Tuberkulose und verbrachte seine letzten Lebensjahre auf der Krim, wo er auf Linderung seiner Krankheit durch die dortigen klimatischen Bedingungen hoffte. Seine finanzielle Situation wurde gegen Ende seines Lebens etwas abgemildert, weil sich Serge Rachmaninov für ihn einsetzte und einen Verleger für seine Werke fand.
Kalinnikovs Musik ist durch die national-russische Bewegung beeinflusst, und viele seiner Themen haben volksliedhafte Züge. Die beiden Symphonien und die übrigen abstrakteren Stücke zeichnen sich durch eine auf Musikfluss aufgebaute Kompositionsweise aus, einerseits streicherbetont, anderseits auch im Blech voll klingend. Es ist eine unproblematische, letztlich aber auch etwas eintönige Musik. Am prägnantesten werden die Einfälle des Komponisten in den dramatischeren Stücken, Tondichtungen oder in der Bühnenmusik zum Ausdruck gebracht. Unzweifelhaft aber sollte ihm im Musikleben mehr Bedeutung zukommen als er gegenwärtig genießt.
Svetlanovs an Intensität und Engagement kaum zu überbietende Interpretationen haben alles, um die Musik wirksam werden zu lassen: sie sind kraftvoll, farbig und lyrisch (der ‘Streicherchor’ des russischen Orchesters ‘singt’ ganz wunderbar).
Nikolai Medtner wurde stets von Evgeny Svetlanov gut bedient, sowohl in Orchesterwerken als auch in Klavierstücken, wovon einige auf der 56. CD dieser Box zu hören sind. Die beiden Klavierkonzerte mit Tatiana Nikolayeva und Abram Shatzkes sind von Svetlanovs leidenschaftlichem Dirigieren geprägt. Er treibt die Musik regelrecht voran (ohne zu schnelle Tempi zu wählen) und wenn auch etwas von Medtners Melancholie auf der Strecke bleibt (die Romanze im 2. Konzert verliert dadurch an Bedeutung) so ist dies doch eine gute Einspielung.
Melodiya presents the first box of Evgeny Svetlanov’s Anthology of Russian Symphonic Music. The box comprises 56 discs with works presented in chronological order from Glinka to Lyapunov. Most of the performances are marked by Svetlanovs high-powered, passionate conducting, yet there are also works where he is much more moderate and even not really inspired. But in most cases his orchestra delivers strong playing, with present woodwinds, bright brass, and a highly-muscled string ‘chorus’. The new remastering has improved the sound quality of the recordings.
Inhalt / Content
Arensky: Symphony No. 1 in B minor Op. 4 – Symphony No. 2 in A major Op. 22 – Suite No. 1 in G minor, Op. 7 – Suite for two pianos No. 2 ‘Silhouettes’, Op. 23 – Variations on a Theme of Tchaikovsky, Op. 35a – Fantasia on Themes by I.T. Ryabinin Op. 48 – Suite for two pianos No. 3 ‘Variations in C major’, Op. 33 – Introduction to the opera “Nal and Damajanti” – Marguerite Gautier- a fantasia for orchestra, Op. 9 – Raphael: Introduction – Egyptian Nights
Balakirev: Overture on a Spanish March Theme – Overture on three Russian Themes – Suite for orchestra – Rus – In Czechia – Symphonic Poem – Symphonic Poem ‘Tamara’ – Islamey – Oriental Fantasy
Borodin: Symphony No. 1 in E flat major – Symphony No. 2 in B minor -Symphony No. 3 in A minor (unfinished) – Petite Suite – Prince Igor: Fragments
Dargomïzhsky: Kazachok – Baba Yaga – Bolero – Finnish Fantasia – Rusalka: Slavonic Dance, Gypsy Dance
Glinka: Valse-Fantaisie in B minor for orchestra – Capriccio brillante on a Russian theme – Spanish Overture No. 2 ‘Summer Night in Madrid’ – Symphony on Two Russian Themes – Premiere Polka in B Flat Major – Andante Cantabile and Rondo in D minor – A Life for the Tsar: Fragments – Ruslan and Lyudmila: excerpts – Prince Kholmsky – Incidental Music – Patriotic Song – Prayer after Lermontov – Memory of Friendship – Overture in G minor – Overture in D major – Kamarinskaya
Kalinnikov: Symphony No. 1 in G minor – Symphony No. 2 in A major – Intermezzi No. 1 & No. 2 – Serenade for strings – The Nymphs – symphonic poem – Bylina overture – The Cedar and the Palm – Suite – Tsar Boris: excerpts
Liadov: From the Apocalypse, Op. 66 – Ballade, Op. 21b – Baba-Yaga, Op. 56 – The Enchanted Lake, Op. 62 – Kikimora, Op. 63 – Russian Folksongs (8), Op. 58 – A Musical Snuffbox, Op. 32 – Scherzo in D major, Op. 16 – Nenie, Op. 67 – Intermezzo, Op. 8 – Dance of the Amazon, Op. 65 – Polonaise, Op. 49 – Polonaise for the Unveiling of the Statue of Rubinstein, Op. 55
Lyapunov: Symphony No. 1 in B minor, Op. 12 – Triumphal Overture on Russian Themes in C major, Op. 7 – Zelazowa Wola, Op. 37 – Hashish – symphonic poem for big orchestra, Op. 53 – Symphony No. 2 in B minor, Op. 66
Medtner: Piano Concerto No. 1 in C minor, Op. 33 – Piano Concerto No. 2 in C minor, Op. 50
Mussorgsky: Boris Godunov: Introduction and Polonaise – Khovanshchina: excerpts – Sunless – Songs and Dances of Death – Scherzo in B flat major – Intermezzo in modo classic – A Night on the Bare Mountain – The Capture of Kars – Solemn March – Pictures at an Exhibition
Nápravník: Dubrovsky: Fragments
Rimsky Korsakov: Symphony No. 1 – Symphony No. 2, Op. 9 ‘Antar’ – Symphony No. 3 in C – Sadko (tone poem), Op. 5 – Fantasia on Serbian Themes, Op. 6 – Overture on Russian Themes, Op. 28 – Legend (Conte féerique), Op. 29 – Capriccio espagnol, Op. 34 – Scheherazade, Op. 35 – Russian Easter Festival Overture, Op. 36 – On the Tomb, (Prelude), Op. 61 – The Maid of Pskov: Suite – The Maid of Pskov: In the Woods, Tsar’s Hunt and Storm – May Night Overture – Snow Maiden Suite – Mlada: Procession of the Nobles – Christmas Eve Suite: Polonaise – Sadko (opera): introduction – Boyarinya Vera Sheloga: Overture – The Tsar’s Bride Overture – The Tale of Tsar Saltan Suite, Op. 57 – Pan Voyevoda Suite – The Legend of the Invisible City of Kitezh and the Maiden Fevronia: excerpts – Le Coq d’Or Suite: fragments – Le Coq d’Or Suite
Rubinstein: Valse Caprice in E flat major
Taneyev: Symphony No. 4 in C minor Op. 12 – Apollo’s Temple in Delphi (entr’acte from Oresteia) – Suite de Concert Op. 28
Tchaikovsky: The Seasons, Op. 37b, Symphonies Nos. 1-6 (complete) – Manfred Symphony, Op. 58 – Piano Concerto No. 1 in B flat minor, Op. 23 – Piano Concerto No. 2 in G major, Op. 44 – Concert Fantasy, Op. 56 – Piano Concerto No. 3 in E flat major – Variations on a Rococo Theme, Op. 33 – Suite No. 3 in G major, Op. 55 – Suite No. 4 in G major, Op. 61 ‘Mozartiana’ – Festival Coronation March – Marche slave, Op. 31 – The Snow Maiden, Op. 12: orchestral excerpts – Francesca da Rimini, Op. 32 – Concert Overture in C minor – Overture in F major – Hamlet – Fantasy overture, Op. 67 – 1812 Overture, Op. 49 – The Storm Overture (Groza), Op.76 – The Voyevoda: Fragments – The Oprichnik: Introduction – The Oprichnik: Dances of Oprichniks and Women – Cherevichki: Suite – Jeanne d’Arc, La Pucelle d’Orleans: fragments – Entr’acte & Waltz and Polonaise (from Eugene Onegin, Op. 24) – Eugene Onegin: Ecossaise -Cherevichki: Introduction – Cossack Dance (Hopak/Gopak) from Mazeppa – Mazeppa: The Battle of Poltava – The Enchantress: Fragments – Introduction to The Queen of Spades – Overture from Iolanta, Swan Lake, Op. 20 – Sleeping Beauty, Op. 66 – The Nutcracker, Op. 71