Die Wiener Philharmoniker unter Leitung von Philippe Jordan präsentierten im Wiener Konzerthaus ein auf das Meer ausgerichtetes Programm. Die Sopranistin Nicole Car war als Solistin dabei. Uwe Krusch berichtet für Pizzicato, ob das Orchester die Naturgewalten beherrschte.
Umrahmt wurde das Konzert von zwei bekannten Werken. Am Anfang erklang die Ouvertüre Meeresstille und glückliche Fahrt von Felix Mendelssohn Bartholdy. Obgleich ohne Worte, bezieht sich das Werk auf das Doppelgedicht gleichen Titels von Goethe. Das Orchester war vom ersten Moment an präsent und bot eine ebenso einfühlsame wie stringente Interpretation des Stückes an. Jordans Dirigat mag für den Zuschauer ein wenig eckig und monoton wirken, doch bietet sein Agieren dem Orchester genug Ansatzpunkte, danach gestalterisch zu handeln. Es gelang den Philharmonikern, die fast fotografische Darstellung eines unbeweglichen Schiffes und des allmählichen Auffrischens des Windes zu verdeutlichen. Auf eine festliche Fanfare als Signal der Ankunft des Schiffes im Hafen folgen nochmals drei Akkorde, die wieder dem Meer und dem Wind zuzurechnen sind, also einem romantischen Symbol für die Natur, die über allem steht. Diese verschiedenen Aspekte formulierte das Orchester, wobei es ihm insbesondere gelang, die Bewegungslosigkeit des Anfangs trotzdem mit Spannkraft zu formen.
Der Abend über die hohe See schloss mit La Mer von Claude Debussy. Das Werk hatte aus der Musik heraus etwas Naturhaftes und keine Handlung oder, im Unterschied zur Ouvertüre, auch keinen Bezug auf Lyrik. Mit seinen schillernden Farbgebungen bot es einen dem Ensemble eine große Breite an instrumentalen Einsatzmöglichkeiten, die auch mit bis zum Schluss mit aufmerksamer Intensität genutzt wurden. Die in Töne gefassten Bewegungen von Wellen und Wind führten auch zu lauten Ausformungen, die aber von Jordan in durchhörbaren Bahnen geformt wurden. Doch auch sensibel leise aushorchende Passagen waren in gewohnter Qualität zu erfahren. Vielleicht hätte man daneben noch etwas mehr ozeanisches Licht und flüchtige Stimmungen vorstellen können.
Vor La Mer gab es Musik von der Küste zu hören. Mit den Four Sea Interludes aus der Oper Peter Grimes von Benjamin Britten. Auch hierbei handelt es sich um Stimmungsbilder, die aber vor allem auf menschliche Aspekte abstellen. Hier gelang dem Orchester und einem Dirigenten vielleicht die sinnlichste Deutung des Abends, etwa als Bratschen und Harfen zusammen erklangen, ergab sich ein verzauberter Moment.
Am üblichen Platz vor der Pause erklang das Werk mit der aus Australien stammenden Sopranistin Nicole Car, das ‘Poème de l’amour et de la mer’ von Ernest Chausson. Im Unterschied zur Ouvertüre erklangen hier auch die Worte der Gedichte von Maurice Buchor, teilweise von Chausson überarbeitet, zur Musik. Der Dichter strebte eine neue, schwärmerisch lyrische Sprache jenseits des akademischen Neoklassizismus an, die er auch hier umsetzte.
Car, die Opernbesuchern wie denen der Wiener Staatsoper bereits bekannt sein könnte, wurde von Philippe Jordan und den Wiener Philharmonikern in ein stimmungsvolles Umfeld eingebunden, dass ihr immer den nötigen dynamischen Platz ließ. Außer im Zwischenspiel, dem Orchester vorbehalten, war die Solistin fast durchgehend beschäftigt. Doch sie hatte die nötige Kondition, das halbstündige Werk ohne Abstriche zu gestalten. Car verstand es, bei ausreichender Verständlichkeit des Französischen, wobei die Texte im Programm hilfreich waren, emotional mit überzeugender Dramaturgie die einerseits sanften Abschnitte ebenso wie die dramatischeren Momente punktgenau zu formen. Ihre Stimme fokussiert sie sicher in der Höhe sowie präsent und warm in tieferen Registern. Mit ihrem Sopran vermittelt sie dem Werk sinnliche Farben, da sie flexibel genug zu agieren weiß.