Im Grazer Stefaniensaal wurde die Sinfonische Dichtung ‘Melusina’ von Albena Petrovic-Vratchanska uraufgeführt. Stefan Pieper berichtet.
Am Anfang stand das Matriarchat und die Frau bestimmte die Regeln. Die Sagengestalt Melusine wollte als menschliches Wesen mit ihrem Gatten eine Vereinbarung treffen. Schließlich wird diese vom Manne gebrochen – und Melusina entzieht sich dem männlichen Einflussbereich, mutiert zur Wassernixe, wird unerreichbar und unsichtbar.
Diese Sage stammt aus Luxemburg – genauer: Die ‘Casemates de Bock’ sollen Schauplatz dieses Mysteriums gewesen sein. Dort hat Albena Petrovic-Vratchanska im letzten Jahr ihre Oper ‘Music in the Dark’ uraufgeführt, die eine beklemmende, aber auch sehr emanzipatorisch fokussierte Innenschau der weiblichen Psyche darstellt. Eine Tondichtung zum Thema ‘Melusina’ erscheint hier wie eine logische Fortsetzung. Dass die Uraufführung im Grazer Stefaniensaal als ‘Muttertagskonzert’ deklariert war, zeigt, dass hier solche Ehrentage auch künstlerisch ernst genommen werden, wo gerade dieser Feiertag doch zu oft im Kitsch ersäuft bzw. früher schlimm ideologisch vereinnahmt wurde.
Die Musik, die der Wahl-Luxemburgerin dazu einfiel, verkörpert eine starke Dualität: Das Orchester ‘Modus 21’ unter der Leitung des Grazers Erich Polz inszenierte im Stefaniensaal starke Kontraste. Da lebt eine rätselhafte Aura in Gestalt clusterartiger Geräuscheffekte und dunkel aufbrandender Klangflächen. So etwas steht einem lyrisch-psychologisierenden Ich gegenüber, welches sich in melodischen Gegenpolen ausdrückt. Mehr noch: Es gibt ein Leitmotiv, welches sich aus einem Wortspiel mit den Silben des Namens, die ja auch für italienische Tonhöhenbezeichnungen stehen, ableitet. Das Stück wirkt dadurch wie ein etwas atemloser Dialog aus Abstraktem und Konkretem. Da trifft die ungezähmte, manchmal perkussive Geräuschwelt auf einschlägige sinfonische Referenzpunkte. « Ich habe dieses Stück extra für ein breites Publikum geschrieben. Es gehört als Programmpunkt in traditionell konzipierte Sinfonieorchester und eben nicht auf Spezialveranstaltungen der Neuen Musik“ forderte Albena Petrovic-Vratchanska im Gespräch kurz vor dieser Uraufführung. Geht es doch hier darum, ein sinfonisch sozialisiertes Publikum in die Klangwelt der Gegenwart „abzuholen“. Auf jeden Fall hatte die Komponistin aus Luxemburg mit Erich Polz und seinem erst vor vier Jahren gegründeten Orchester einen dankbaren Partner für diese Uraufführung – zumal diese auch in diesem thematischen Kontext bestens funktionierte. Durchaus hätte hier so manches Detail noch tiefgründiger erarbeitet werden können. Die Partitur von Albena Petrovich-Vratchanskas neuem Werk gibt dies allemal her!
Starke Frauen bot das Konzert in Graz auch weiterhin: Das Potenzial der Schweizer Cellistin Nadège Rochat liegt in einer tiefempfundenen Authentizität. Wenn sie in Edvard Elgars Cellokonzert mit dem Orchester zur hellhörigen Einheit verwächst, brausen keine plakativen Themen auf, werden keine virtuosen Feuerwerke abgebrannt. Stattdessen liegen feinsinnig-tiefgründige Melodien entwaffnend offen. Was für einen seidig schillernden, sphärischen, aber nie blendenden Ton realisiert diese 1991 geborene Interpretin auf ihrem Stradivari-Instrument! Elgars Konzert wurde im Jahr 1917 in Trauer geboren: Es tobte ein fürchterlicher Krieg und Elgar und seine schwer erkrankte Frau litten gemeinsam. Nadège Rochat und das Orchester ‘Modus 21’ verweigern sich dem schweren Pathos und allzu bohrender Verzweiflung. Dafür liegt im Stefaniensaal viel zu viel berührende Zärtlichkeit in der Luft! Als Zugabe musizierte Nadege Rochat die Allemande aus Bachs G-Dur-Solosuite. Mit charmanter Leichtigkeit, zugleich tiefem Ernst und einer unerschütterlichen inneren Ruhe.
Große Themen brauchen starke Worte und manchmal auch die provokative Tonart. Was funktionierte besser als der brennend aktuelle Text „Allein sein“ von Elfriede Jelinek – in Graz vorgetragen von der Schauspielerin Aglaia Szyszkowitz. Es geht um Geschlechterverhältnisse, Konventionen, Funktionieren-Müssen, um Räume, in denen das Denken stattfindet. Nachdenken über das, vor dem so viele Menschen in heutiger Angepasstheit (oder der Illusion von Alternativlosigkeit) blind geworden sind. Solche Botschaften enthoben das Konzert einmal mehr von der Ebene des einfach nur ‘schönen’ haushoch auf eine Stufe des „wahren und guten.“
So geht es auch zu, wenn Erich Polz Beethovens Sinfonik interpretiert. Hier soll alles „von Herzen kommen und wieder zu Herzen gehen“, wie Beethoven das formulierte.
Polz, ein leidenschaftlicher Bergsteiger, erklimmt mit Beethovens Dritter Sinfonie, der Eroica, einen Giganten. Aber eben nicht im Alleingang. Dafür ist ein Wachsenlassen aller menschlichen Kräfte in seinem motivierten Orchester spürbar. Es geht um Präzision, aber auch um das spontane Aufgreifen von Entwicklungen aus dem Moment heraus. Dies stand zu einer extrem detailgenauen Lesart der Partitur keineswegs im Widerspruch.