Der Pianist Moritz Winkelmann sagt über seine CD mit den drei letzten Beethoven-Sonaten und Wiegenmusik sowie der parodistisch angehauchten Marche fatale von Helmut Lachenmann, sie spüre durch diese Gegenüberstellung der Wechselwirkung zwischen den Werken nach, dem Spannungsfeld, das sich durch ihre Nachbarschaft auftut. Ohne das einzelne Meisterwerk zu entfremden entstehe ein neuer Hörkontext. Die Symbiose ihrer Auren ermöglichees uns, selbstverständlich Gewordenes wieder neu zu erfahren.
In seiner kurzen Stellungnahme aber geht Winkelmann nicht auf das Wesentliche ein, was diese Aufnahme auszeichnet. Die Gegenüberstellung mag recht spannend sein, den späten Beethoven mit einem recht tonalen Lachenmann ins Rennen zu schicken, aber das wichtigste Ergebnis dieser Einspielung ist zweifelsohne die unkonventionelle Art, mit der Winkelmann den letzten Sonaten Beethoven begegnet. Der Pianist scheint eine höllische Freude zu verspüren, Beethovens Musik so richtig zum Swingen zu bringen. Oft benutzt er minimale Tempiverzögerungen oder Accelerandi, um Beethovens Musik in einem anderen inneren Spannungsverhältnis zu begegnen. Da ist nichts mehr selbstverständlich. Winkelmann scheint Beethoven von der großen Tradition loszulösen, ihn quasi den überlebensgroßen Interpreten wie Brendel, Barenboim, Kempff oder Buchbinder aus den Händen zu reißen, um ihn erneut frisch und frei gestalten und entdecken zu dürfen. Das Resultat ist atemberaubend, denn der Hörer nimmt an einer quasi jazzigen Interpretation teil, die Melodie und Struktur in neuem Lichte erscheinen lässt. Dabei dreht Winkelmann aber nur wenig an den Stellschrauben. Aber er weiß genau, wo er ansetzen muss, um diesen neuen, lebendigen und gar nicht grantigen Beethoven zu einem Hörerlebnis zu machen.
So neu und anders dieser Beethoven auch erscheinen mag, Moritz Winkelmann verzichtet dabei ganz auf plakative Effekte. Eher mit einem leichten Schmunzeln rückt er Beethoven in ein neues, modernes Licht. So stimmt dann auch immer alles, Ausdruck, Struktur, Balance …
Die beiden kurzen Lachenmann-Stücke ergänzen dieses Beethovenporträt und schlagen eine direkte Brücke zur Moderne, die hier allerdings noch recht moderat und angepasst erscheint und nichts mehr mit dem späten Lachenmann zu tun hat.
Herausragend ist auch das pianistische Können von Moritz Winkelmann, das von der Klangtechnik optimal eingefangen und unterstützt wird. Alles in allem: ein kleiner Geniestreich und eine absolute Bereicherung für das ansonsten doch arg strapazierte Beethoven-Repertoire.
The pianist Moritz Winkelmann says about his CD with the last three Beethoven sonatas and Wiegenmusik as well as the parodistic Marche fatale by Helmut Lachenmann that through this juxtaposition he traces the interaction between the works, the field of tension that opens up through their proximity. Without alienating the individual masterpiece, a new listening context would emerge, and the symbiosis of their auras should enable the listener to experience anew what has become self-evident.
In his short statement, however, Winkelmann does not go into the essentials of what distinguishes this recording. The juxtaposition may be quite exciting, opposing the late Beethoven to a quite tonal Lachenmann, but the most important result of this recording is undoubtedly the unconventional way Winkelmann approaches Beethoven’s last sonatas. The pianist seems to take one hell of a delight in making Beethoven’s music really swing. He often uses minimal tempo delays or accelerandi to encounter Beethoven’s music in a different inner tension. Nothing is taken for granted anymore. Winkelmann seems to detach Beethoven from the great tradition, to tear him out of the hands of the larger-than-life interpreters like Brendel, Barenboim, Kempff or Buchbinder, so to speak, in order to be allowed to shape and discover him freshly and freely once again. The result is breathtaking, as the listener participates in a quasi-jazzy interpretation that sheds new light on melody and structure. In doing so, however, Winkelmann only turns the screws a little. But he knows exactly where to start in order to make this new, lively and not at all grumpy Beethoven a listening experience.
As new and different as this Beethoven may seem, Moritz Winkelmann completely refrains from striking effects. Rather with a slight smirk he puts Beethoven into a new, modern light. So everything is always right, expression, structure, balance…
The two short Lachenmann pieces complement this Beethoven portrait and build a direct bridge to modernism, which here, however, still seems quite moderate and adapted and has nothing to do with the late Lachenmann.
The pianistic skills of Moritz Winkelmann are also outstanding, optimally captured and supported by the sound engineering. All in all: a small stroke of genius and an absolute enrichment for the otherwise strained Beethoven repertoire.