Der heute 63-jährige Andras Schiff war 1974 erst 20, als er sich am 5. Tchaikovsky-Wettbewerb beteiligte und dort ‘nur’ einen vierten Preis bekam, hinter Andrei Gavrilov, Stanislav Igolinsky sowie Myung-Whun Chung (ex aequo) und Youri Egorov.
In den Solostücken gibt sich der junge Schiff oft brillant, mit rasanter Fingerfertigkeit und auftrumpfender Rhetorik, ganz anders also als der so ungemein nuancenreich agierende Pianist, zu dem er sich später entwickeln sollte. Aber im Kern ist doch so manches vorhanden, was eben diesen späteren Schiff ausmacht. Und das macht es so interessant, diese Wettbewerbsaufzeichnungen zu hören.
Das Tchaikovsky-Konzert geht er sehr zielstrebig und virtuos an, mit viel Kraft, majestätischen Bässen und sinnvollem Rubato, aber leider nicht immer ganz klaren Spiel. Da gibt es das eine oder andere Geschmierte, und die dynamischen Nuancen, die er voller Fantasie und Spontaneität zum eigenen Mitsingen herausarbeitet, bekommen nicht die Prägnanz, die man andererseits aber im Orchester findet, das Dmitrij Kitajenko mit straffen Zügeln leitet. Für 1974 und eine nicht bearbeitete Liveaufnahme spielt das Moskauer Radiosymphonieorchester beeindruckend gut. Kitajenko zeigt, wie souverän er in 100-prozentiger Harmonie mit dem Solisten agiert, regelrecht auf ihn eingeht und im Orchester genau die grandiosen Steigerungen und die Entspannung reproduziert, die die Interpretation des Solisten auszeichnen. So kommt eine großartige Spannung auf, die sich durch das ganze Konzert hindurch zieht und den Hochdruck aufbaut, der sich am Schluss noch in die Musik hinein im Publikum entlädt.
Und wenn schon auf der ersten CD die Händel-Variationen von Brahms einen interpretatorischen Höhepunkt darstellen, so ist Schiffs Interpretation des Ersten Klavierkonzerts von Johannes Brahms auch großartig gelungen. Er hat in Dimitrij Kitajenko den Partner gefunden, mit dem er diese spannend, ganz auf Dialog aufgebaute Aufführung entwickeln konnte, die frei von Pathos ist, generell schlank und sehr transparent. Auch hier irritieren freilich manche technischen Fehler, die dem Pianisten wahrscheinlich auch in der Wertung Punkte gekostet haben.
Die Klangqualität der Aufnahmen ist angesichts ihres Alters nicht schlecht, und so kann man sich diese historischen Dokumente in akzeptablen Bedingungen anhören.