Die deutsche Violinistin Anne-Sophie Mutter (54) wurde gestern in Warschau mit dem polnischen ‘Gloria Artis Award’ ausgezeichnet. Gelegentlich einer Zeremonie im polnischen Kulturministerium erhielt die Geigerin als erste deutsche Künstlerin Polens höchste Kultur-Auszeichnung aus der Hand von Prof. Piotr Glinski. In Anwesenheit von Elzbieta und Krzysztof Penderecki, dem deutschen Botschafter Rolf Nickel und ausgewählten polnischen und deutschen Journalisten, darunter ICMA-Board-Member, Musikpublizist Martin Hoffmeister, würdigte der Kulturminister Mutters Verdienste um die polnische Musik und Kultur, insbesondere ihre beispielhaften Interpretationen der Werke Pendereckis, Lutoslawskis und Szymanowskis.
In ihrer bemerkenswerten und sehr fundierten Dankesrede (siehe unten) betonte die Geigerin nicht nur die tiefe Verbundenheit zur polnischen Kultur, sondern verwies außerdem auf die völkerverbindende Kraft und das humanistische Potential der Musik. Am Abend spielte Anne-Sophie Mutter in der Warschauer Nationalphilharmonie mit dem Nationalen Polnischen Rundfunk-Sinfonie-Orchester aus Katowice Beethovens Violinkonzert op. 61. Das Konzert fand im Rahmen des am vergangenen Wochenende eröffneten 22. Ludwig-van-Beethoven-Festivals statt. Die zweiwöchige Reihe (16.03.18 – 30.03.18) mit insgesamt 18 Konzerten unter der Überschrift ‘Beethoven and Great Anniversaries’ widmet sich u.a. dem Schaffen der Komponisten-Jubilare Krzysztof Penderecki (85), Leonard Bernstein (100), Henryk Gorecki (85) und Claude Debussy (100. Todestag).
Daneben steht natürlich auch viel Musik vom Festival-Namensgeber Beethoven im Programm, und dafür stehen Protagonisten wie Krystian Zimerman, Rudolf Buchbinder, JoAnn Falletta, Szymon Nehring, Lukasz Borowicz, Steven Isserlis, David Afkham und Lawrence Foster zur Verfügung.
Infos unter: www.beethoven.org.pl
Anne-Sofie Mutters Dankesrede
Sehr verehrter Herr Minister Piotr Gliński, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich fühle mich zutiefst geehrt, dass Sie mich mit der Gloria-Artis-Medaille auszeichnen. Diese hohe Auszeichnung erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit. Denn seit meinem ersten Konzert in Polen begleitet mich als deutsche Staatsbürgerin auch immer eine tiefe Scham auf der Bühne – trotz des warmherzigen Empfangs, den mir das musikbegeisterte Publikum in Polen seit Jahrzehnten bereitet. Meine innigste Hoffnung ist es, mit meinen Konzerten zum Heilungsprozess und zur Aussöhnung beitragen zu können.
Im Alter von 22 Jahren vermochte ich noch nicht in vollem Umfang erkennen, welche unendlichen Kosmos mir Witold Lutoslawski eröffnen würde. Die Uraufführung von Lutoslawskis ‘Lancuch II’ – oder ‘Chain II’, wie das Stück in der englischen Notenausgabe heißt – am 31. Januar 1986 hat mich nicht nur entscheidend geprägt, sie war für mich der Beginn einer neuen Ära. Denn diese unbeschreiblich glückhafte Begegnung mit Lutoslawski schenkte mir ein viel reicheres Leben, als ich es nur mit dem existierenden Repertoire erfahren hätte.
Ich habe mich in den darauf folgenden Jahren immer wieder gefragt, welche persönlichen Umstände dazu geführt haben mögen, dass Lutoslawski in seiner musikalischen Sprache Schmerz und Tragik zu überwinden vermag. Waren es die grauenvollen Erfahrungen seiner Kindheit, die darin gipfelten, dass er sich bereits im Alter von fünf Jahren von seinem Vater verabschieden musste – in dessen Todeszelle?
Lutoslawski erlebte den ersten und den zweiten Weltkrieg, die vierte polnische Teilung, den kalten Krieg, die Solidarnosc-Bewegung und ihre Unterdrückung durch die Verhängung des Kriegsrechts 1981. Er selbst hat über Persönliches nie gesprochen und sich nie zu einer öffentlichen Person gemacht. Stattdessen ist er mit seiner Musik für alle Zeiten zu einem universellen Brückenbauer geworden, über alle nationalen, ideologischen oder religiösen Barrieren hinweg. Die Feinheit und Aufrichtigkeit seiner musikalischen Sprache sind für mich der Inbegriff dessen, was Musik ausmacht. Mit einer emotionalen Intensität, wie sie nur ganz wenigen Komponisten gelingt.
Als Polen 2013 seines 100. Geburtstages gedachte, empfand ich es deshalb als eine große Ehre, im Rahmen des 10. Lutoslawski-Festivals auftreten zu dürfen und diesen unvergesslichen Komponisten und Menschen zu feiern. Das Abschlusskonzert des 10. Lutoslawski-Festivals dirigierte Krzysztof Penderecki, den ich als einen mir Seelenverwandten empfinde.
Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts habe ich ihn kennen und bewundern gelernt. Ganz besonders hat mich damals sein Polnisches Requiem berührt. Doch nicht nur die Leidensgeschichte des polnischen Volkes hat Penderecki musikalisch thematisiert, denken wir beispielsweise nur an seine ‘Threnody to the Victims of Hiroshima’ oder die ‘Seven Gates of Jerusalem’ (Symphonie Nr. 7). Mich treffen seine Klänge wie ein Aufschrei der gequälten Menschheit direkt ins Mark – mit einer Intensität und Wucht, wie sie kein Denkmal, keine Photographie und kein Text zu erzielen vermögen. Ich bewundere Penderecki unendlich dafür, dass er nicht nur die so wesentliche Aufgabe des Mahnens und Erinnerns wahrnimmt, sondern dafür auch eine ganz eigene, schier unerschöpfliche Tonsprache gefunden hat.
Im November wird dieser herausragende Komponist seinen 85. Geburtstag feiern – mir eröffnet dieser Anlass die Chance, seine Violin-Werke in den Mittelpunkt meiner diesjährigen Konzerte zu stellen und damit unsere langjährige Freundschaft auch öffentlich zu feiern. Denn ich bin ihm unendlich dankbar für die Werke, die er mir gewidmet hat und die ich uraufführen durfte. Wie beispielsweise die atemberaubende „Sonate für Violine und Klavier Nr. 2“ oder „La Follia“, das von mir lange ersehnte Solowerk für die Violine – oder sein Violinkonzert Nr. 2, Metamorphosen.
Einer der großartigsten musikalischen Höhepunkte findet sich für mich in eben diesem Violinkonzert. Der letzte, langsame Abschnitt endet in einer Begräbnisszene, in der die Seele den toten Körper überwindet und dem Himmel entgegenstrebt. Ich habe dieses Werk 1995 nur wenige Wochen vor dem Tod meines damals schwer erkrankten Mannes uraufgeführt; Pendereckis Musik hat mir den Weg zum Verstehen menschlicher Metamorphose gewiesen.
Diese Seelenverwandtschaft erstreckt sich auch auf ein weiteres Schaffensfeld Pendereckis, dessen Bedeutung für das Musikleben gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Mit der Eröffnung des European Krzysztof Penderecki Center for Music im Mai 2013 hat er seinen über Jahrzehnte hartnäckigst verfolgten Lebenstraum realisiert – nämlich jungen Musikern alle erdenklichen Chancen zu eröffnen, damit sie ihre Fähigkeiten optimal entwickeln und zu Künstlerpersönlichkeiten heranreifen können. Auch dafür bin ich diesem großartigen Musiker unaufhörlich dankbar!
Ich als Musikerin bin zutiefst überzeugt davon, dass uns die Musik eine große Chance bietet, die Welt zum Besseren zu verändern. Seit Jahrhunderten haben sich Musiker und Komponisten dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtet. Die Auszeichnung mit der ‘Gloria-Artis’-Medaille erfüllt mich deshalb auch mit großem Stolz, lieber Minister Piotr Gliński. Denn mit dieser Auszeichnung ehren Sie nicht nur mich persönlich, sondern sie stellen die gesellschaftliche Gestaltungskraft der Musik in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit.