Nach der Rezension Ihrer letzten CD (Shostakovich/Schubert) sollte man unseren Lesern einmal erklären, wie das Aris Quartett zustande kam? Wie haben Sie vier sich gefunden?
Darüber wundern wir uns selbst oft: wir haben uns nicht gesucht, wir wurden zusammengesetzt. Im Grunde sind wir eine ‘Casting-Band’, bei der Hubert Buchberger, damaliger Kammermusikprofessor an der Musikhochschule in Frankfurt, ein gutes Gespür bewiesen hat. Wir waren zu der Zeit allesamt Jungstudierende, gingen also parallel noch zu Schule und kannten uns untereinander überhaupt nicht.
Woher kommt der Name?
Das ist simpler, als viele denken – es ist lediglich ein erfundenes Wort aus den Endbuchstaben unserer Vornamen.
Sie haben viele Preise gewonnen. Doch Wettbewerbe sind auch umstritten. Wie stehen Sie zu der allgemeinen Lage der Wettbewerbe?
Wettbewerbe können Türöffner sein, da sie unter Umständen große Plattformen sind auf denen man sich präsentieren kann und die von vielen Fachleuten – seien es Veranstalter/innen, Agenturen oder Labels – aufmerksam beobachtet werden. Beispielsweise der ARD-Wettbewerb war für uns enorm wichtig, einfach durch seine große mediale Präsenz. Allerdings haben wir Wettbewerbe immer als eine sehr unnatürliche Situation empfunden, bei der Kunst oftmals mehr erzwungen wird, als dass sie von sich aus entstehen kann. Das hat mit dem enormen kompetitiven Leistungsdruck zu tun, welcher in der Natur jedes ‘Vergleichens’ liegt, der aber eigentlich so weit weg ist vom eigentlichen Ursprung der Musik und der Kunst im Allgemeinen.
Wir selbst haben uns eben diesem ‘Vergleichen’ oft gestellt und die daraus entstehenden Möglichkeiten als Chancen gesehen, allerdings sind wir sehr froh über unsere Entscheidung, keine weiteren Wettbewerbe mehr zu spielen, sondern uns nur noch auf die Qualität von Konzerten und CD-Einspielungen zu konzentrieren…
Der Quartett-Markt ist heftig umkämpft. Es hat nie so viel gute Quartette gegeben wie heute. Ist das für Sie Stress?
Das stimmt – es gibt momentan viele herausragende Quartette. Mit den meisten ist man gut befreundet, das finde ich unglaublich schön und kollegial. Man schätzt und respektiert sich untereinander. Stress im negativen Sinne empfinden wir nicht, aber ein gewisser Eifer, eine ständige Weiterentwicklung wird dadurch sicherlich beflügelt.
Wie begegnen Sie der Konkurrenz? Mit speziellen Programmen? Mit Nischen-Repertoire? Mit neuen Ideen?
Ich denke am besten kann man sich präsentieren, wenn man sich treu bleibt. Zu viel Zeit in die Entwicklung aufwendiger ‘Unterscheidungsmerkmale’, um uns von anderen abzusetzen verschwenden wir gar nicht. Unser Ziel ist es, Musik auf dem höchsten Niveau zu spielen, das Beste aus uns herauszuholen. Und das völlig unabhängig von allem anderen.
Was ist das Wesentliche beim Quartett-Spielen?
Darüber gibt es sicherlich viele Auffassungen. Für uns jedenfalls ist ganz wesentlich, dass wir untereinander nicht bloß gut eingespielte Kollegen sind, sondern auch sehr gute Freunde, weit über die berufliche Komponente hinaus. Wir sind seit unserer Jugend zusammen gewachsen, sehen uns untereinander quasi täglich und hören nicht auf, gemeinsam weiterkommen zu wollen. Das ist eine unglaublich spannende und fordernde Beziehung, die man da eingeht und an der man ständig wächst.
Wie funktioniert das bei Ihnen. Demokratisch?
Ja, absolut. Was Entscheidungen und unsere musikalische Aussage betrifft sind wir vollkommen demokratisch und gleichberechtigt.
Kammermusik hat nicht unbedingt das breiteste Publikum. Aber oft spielen Sie in großen Sälen. Wie kann man KAMMERmusik in einem Auditorium von 1500 Plätzen machen?
Nun, das würde ich unter zwei Gesichtspunkten betrachten: erstens ‘Publikum’ und zweitens ‘Akustik’. Oftmals genießt Kammermusik ein gewisses Nischen-Publikum, kaum jemand verläuft sich ‘zufällig’ in ein Streichquartett-Konzert. Im Vergleich zu einer Oper oder einem Symphonie-Konzert passiert beim Streichquartett ja sehr wenig an spektakulärer Show auf der Bühne – die Musik steht absolut im Vordergrund und das soll so sein; zieht somit aber vor allem Kenner und ausgesprochene Liebhaber der entsprechenden Literatur an. Das finden wir immer sehr schön, wenn der Funke auf begeisterte Streichquartett-Fans überspringt. Die intime Atmosphäre zahlreicher KAMMERmusik-Säle kommt dem zugute – man ist sich automatisch näher.
Aber natürlich gibt es Kammermusik längst auch in großen Sälen. Dort ist dann oft die Akustik der entscheidende Faktor, ob der Funke überspringen kann. Denn natürlich gibt es akustische und räumliche Grenzen, die man in einer solch kleinen Besetzung nicht oder nur mit großer Mühe überwinden kann. Im Grunde aber ist es möglich; schon Beethoven hat das Streichquartett aus der Kammer geholt und auf die große Bühne gebracht. Während Kammermusik im herkömmlichen Sinne oftmals gleichzeitig auch ‘Hintergrundmusik’ bedeutete, hat schon Beethoven mit seinen Rasumowsky-Quartetten den Rahmen einer Kammer gesprengt.
Wenn Sie sich die gegenwärtige Musikszene ansehen: Was gefällt Ihnen, was würden Sie gerne ändern?
Mir gefällt, dass wir einen Beruf ausüben können, den wir lieben. Kein Kind fängt an etwas lernen zu wollen mit dem Ziel, Geld damit zu verdienen. Wir konnten eine Leidenschaft zum Beruf machen und das ist ein Privileg. Dass das überhaupt möglich ist, ist nicht selbstverständlich und doch so wichtig. Was schade ist und was ich wünsche zu ändern ist, dass klassische Musik nicht mehr so zur Allgemeinbildung und zum Alltagsleben gehört wie es früher der Fall war. Kaum eine Familie hat noch Einspielungen Klassischer Musik zuhause, kaum ein Kind geht in den Chor, viele wissen nicht einmal, was eine Geige ist oder wer Beethoven, Karajan oder Leonard Bernstein waren. Das finde ich erschreckend und alarmierend. Insbesondere die klassische Musik hat heute ein viel zu elitäres, unnahbares und oft verstaubtes Image. Und das liegt nicht zuletzt am immer kommerzieller werdenden Musik-Markt selbst, bei dem Musik als exklusive Ware gehandelt wird, worunter nur wenige profitieren…
Kinder und Jugendliche brauchen uneingeschränkten Zugang zu Klassischer Musik und das müsste im Interesse der Eltern, der Lehrer und der Politik stehen. Musik verbindet und gerade das gemeinsame Musizieren ist unheimlich wertvoll für ein soziales Miteinander.
Wir versuchen unseren Teil immer wieder mit Kinderkonzerten, mit Projekten in Schulen oder durch kleine Meisterkurse mit Jugendlichen beizutragen. Aber das ist bei weitem nicht genug. Die Wichtigkeit von klassischer, empfundener Musik wird allgemein unterschätzt und viel zu wenig gepflegt.