Arthur Stockel

Arthur Stockel, Sie wurden bereits mit 21 Jahren Soloklarinettist beim Luxembourg Philharmonic. Wie sind Sie denn eigentlich hier gelandet?
(lacht) Ich kam eigentlich eher durch Zufall zum Luxembourg Philharmonic. Ich hatte bis dahin die Position des Bass-Klarinettisten beim London Symphony Orchestra inne, wo ich auch das Vorspielen gewonnen hatte und wo ich mich auch sehr wohl fühlte. Ich hatte somit das große Glück, meine ersten Sporen als Orchestermusiker beim LSO verdienen zu können. Kurz darauf aber wurde der Posten des Soloklarinettisten beim Luxembourg Philharmonic ausgeschrieben und das interessierte mich natürlich sehr.
Ich kannte die Violinistin des Orchesters Ryoko Yano noch vom Orchester aus Mulhouse und sie war es, die mich letztendlich überzeugte, vorzuspielen. Das war 2018 und ich studierte noch in Paris. Ich gewann die Audition und wurde dann 2019 fest verpflichtet.

Sie sind demnach der Nachfolger von Olivier Dartevelle.
Ja, es macht mich unheimlich stolz, jetzt auf seinem Platz zu sitzen. Olivier ist ja ein wirklich vollkommener Musiker. Er ist auch international eine anerkannte Koryphäe im Bereich der Klarinette. Und ein sehr guter Lehrer. Und Festivalleiter. Und Komponist. Was für ein Musiker! Viele meiner Freunde haben bei ihm studiert und wissen nur Gutes von ihm zu berichten. Einmal, als ich schon in Luxemburg war und parallel noch am Conservatoire National Supérieur in Paris  studierte, war Olivier Jury-Präsident. Da war ich nervös und wollte mich natürlich nicht blamieren. Glücklicherweise ist es am Ende sehr gut für mich ausgegangen. (lacht)

Wie Olivier Dartevelle haben Sie ebenfalls das Bedürfnis, mehr als nur im Orchester zu spielen.
Ja, es ist ein sehr persönliches Bedürfnis. Ich will Musik machen, und das so oft es geht und ich will mich dabei auch nicht festlegen lassen. In einem Orchester zu spielen, ist eine exzellente Basis dafür, wie man musikalisch auf Kollegen hört, wie man eine Partitur liest und spielt. Man gewinnt an natürlichen Reflexen, was einem ungeheuer dabei hilft, wenn man beispielsweise Kammermusik macht. Und umgekehrt. Wenn ich über eine Zeit lang Kammermusik gemacht habe, und dann ins Orchester zurückkomme, höre und reagiere ich anders. Genauso wie beim Jazz, was ja eine ganz andere Richtung ist und die einem hilft, besonders in Sachen  Improvisation, Interaktion und Reaktion auf den musikalischen Partner schnell und spontan zu reagieren. Wenn man vieles macht, wird man einfach vollständiger in seiner musikalischen Persönlichkeit.

Und wie ist denn die Zusammenarbeit mit dem anderen 1. Klarinettisten Jean-Philippe Vivier?
Die läuft ganz harmonisch und konstruktiv. Als 1. Klarinettisten teilen wir uns die Konzerte und Projekte auf, so gut es geht. Da wir beide sehr flexibel sind und uns gut verstehen, funktioniert das problemlos, so dass am Ende jeder von uns zufrieden ist.

Gustavo Gimeno und auch vielen Orchestermusikern ist es sehr wichtig, dass innerhalb des Orchesters Kammermusik gemacht wird. Wie kann man sich das denn vorstellen?
Genau wie in einem Kammermusikensemble, nur dass das Orchester eben größer ist und dass hier 90 Musiker diesen Spielstil verinnerlicht haben müssen. Kammermusikmachen heißt auf seinen Partner oder das 1. Pult hören, merken, was angeboten wird und ihm dann bedingungslos folgen. Das hat sehr viel mit Vertrauen zu tun. Als 1. Klarinettist folgen mir meine beiden Kollegen Emmanuel Chaussade und Filipp Riccardo Biuso und greifen das auf, was ich ihnen vorgebe. Ich selbst muss als 1. Klarinettist auf die 1. Oboe hören, die mir die Impulse gibt. Oder auf die 1. Flöte. Der 1. Oboist ist eigentlich der Chef der Holzbläsergruppe. Und der steht wiederum mit dem Konzertmeister in direkter Verbindung. So hat jeder Musiker im Orchester einen musikalischen Partner, auf den er hören und dem er folgen muss. Je mehr wir auf der Bühne sind, umso schwieriger ist es natürlich. Alle Schaltstellen im Orchester müssen optimal funktionieren. Aber wenn einmal ein Orchester gut eingespielt ist und die Musiker sich gegenseitig vertrauen, dann wird das ein ungemein aufregendes Erlebnis, was natürlich auch vom Publikum bemerkt wird. Natürlich muss man auch die Partitur in allen Details kennen. Ich denke, so ein kammermusikalisches Denken und Spielen zeichnet alle großen Orchester aus. Und der Dirigent kann sich dann einfach auf den Feinschliff und die Koordination der verschiedenen Gruppen konzentrieren. Übrigens ist es meistens einfacher, musikalisch etwas anzubieten, als zu folgen.

Noch einmal kurz zurück: Sie haben das Luxembourg Philharmonic dem London Symphony Orchestra vorgezogen?
Ja, denn beim Luxembourg Philharmonic fühlte ich mich sofort integriert. Es gab eine wunderbare Dynamik, die Kollegen waren alle sehr nett und hilfsbereit und ich mochte das Land. Vor allem in meiner neuen Holzbläserfamilie fühlte ich mich sehr gut aufgehoben. Zudem hatte ich hier die Möglichkeit und die Erlaubnis des Managements, neben meiner Tätigkeit als Orchestermusiker auch als Kammermusiker, Solist oder bei anderen Projekten, die mir am Herzen lagen, aufzutreten. Ich erinnere mich sehr gerne an mein erstes Jahr in Luxemburg. Es gab eine Menge Arbeit und viele Werke vorzubereiten. Mit Gustavo Gimeno gingen wir auf Tourneen durch Europa und Südamerika. Ich war ja Neuling, aber die Kollegen waren so nett und immer für mich da. Musikalisch und menschlich war das sehr wichtig für mich und sie machten es mir alle sehr leicht, meinen Platz innerhalb des Orchesters zu finden.

Sie haben jetzt Ihre erste CD als Solist eingespielt, und zwar die beiden Klarinettenkonzerte sowie das Quintett op. 34 von Carl Maria von Weber eingespielt, dies zusammen mit ihren Kollegen vom Luxembourg Philharmonic.
Ja, das Resultat ist aber eher eine Verstrickung von Zufällen. Kurz bevor ich überhaupt an dieses Projekt dachte, hatte ich in Belgien einen internationalen Wettbewerb gewonnen. Und für diesen Wettbewerb habe ich im Halbfinale und im Finale Weber gespielt. Ich war also völlig in der Weber-Welt und bin dann mit dem Vorschlag zum Management der Philharmonie gegangen, beide Konzerte mit dem Luxembourg Philharmonic aufzunehmen. Sie gaben mit grünes Licht, allerdings mit der Bedingung, dass ich alles selber organisieren müsste. Glücklicherweise hat das alles sehr gut geklappt. Ich habe dann das Label Aparté gefunden; den Dirigenten Leo McFall kenne ich gut und habe bereits mehrmals mit ihm gearbeitet, und das preisgekrönte Quatuor Hamson besteht ebenfalls aus Freunden von mir. So ist eigentlich die ganze CD eine Zusammenarbeit von Freunden und ich glaube, das hört man auch.

Ich hatte ja das Glück, die CD im Vorfeld unseres Interviews zu hören und mir viel vor allem der warme, offene Klang der Klarinette und eine sehr lyrische, ja fast traditionelle Interpretation auf.
Ich habe mich natürlich intensiv mit Webers Konzerten auseinandergesetzt und auch viele Aufnahmen gehört, die mich bis auf wenige nicht so recht zufriedenstellten, außer vielleicht der wundervollen Aufnahme mit Walter Boeykens. So suchte ich meinen eigenen Weg der Interpretation. Ich stamme ja aus dem Elsass und bin mit der französischen Klarinetten-Schule aufgewachsen. Dann habe ich weiter in Berlin studiert und mir auch die sogenannte deutsche Schule angeeignet. Und ich habe bei meiner Arbeit an Weber gemerkt, dass eine Vermischung beider Schulen, was Phrasierung und Klangfarben angeht, der Musik guttut. Dieses Konzertant-Gesangliche der französischen Schule passt natürlich hervorragend zu dem Opernkomponisten Carl Maria von Weber. Das Volkstümliche ist auch sehr gut in Webers Musik spürbar, wie beispielsweise im Freischütz oder eben im letzten Satz des 2 Klarinettenkonzerts. Das ist eine traditionelle Polonaise. Die man aber nicht zu schnell spielen darf. Und so ist am Ende eine Mischung herausgekommen, die, so finde ich, Webers Musik sehr gut darstellt und zudem auch meiner eigenen musikalischen Persönlichkeit entspricht.

Hat Sie denn nie eine reine Solistenkarriere interessiert?
Es ist sicher ungemein aufregend, eine solche Karriere zu verfolgen, aber die schönsten musikalischen Momente, die für Klarinette geschrieben sind, finden sich im Orchester. Sicher, es gibt einige großartige Solistenstücke und – konzerte, aber das Solorepertoire für Klarinette ist doch sehr klein und darüber hinaus fühle ich mich sehr wohl mit meinem Instrument inmitten meiner Orchesterfamilie. Und weil ich ja als Musiker hier in der Philharmonie die Möglichkeit habe, eine, sagen wir ‘kleine Solistenkarriere’ nebenbei zu führen, kann ich mit wirklich die Projekte aussuchen, die mich interessieren. Und natürlich auch meine musikalischen Partner.

Arthur Stockel

Sie spielen aber nicht nur die klassischen Werke sondern machen auch Jazz, wie Sie schon vorher angedeutet haben.
Der Jazz gehört schon seit meinen Anfängen zu meinem musikalischen Leben. Ich habe, als ich jünger war, sehr gerne Jazz gespielt und wollte auch Jazz-Musiker werden. Im Laufe meiner Studien bin ich dann eher auf die klassische Seite gewechselt und ich musste mich entscheiden. Beides konnte ich nicht auf hohem Niveau machen. Als wir dann wegen Corona isoliert waren und ich zu Hause üben musste, weil es ja keine öffentlichen Konzerte gab und auch das Konservatorium geschlossen war, haben sich meine Nachbarn über den Lärm beschwert. Ich habe damals in Paris studiert und hatte nur eine kleine Wohnung, die akustisch schlecht isoliert war. Viele meiner Freunde spielten Jazz und sie luden mich einfach, mit ihnen abends in Bars zu spielen. Ich habe einen Sommer lang nur Jazz gespielt und diese JAM-Sessions haben ich dann wieder auf den Geschmack gebracht. Das war 2020 und ich habe diese Zeit sehr genossen, und wollte den Jazz dann auch nicht mehr missen. Mit Wein und Freunden zusammen sein, und dann einfach loslegen. Das ist Freude pur. Und dann entdeckt man plötzlich neue Wege und auch neue Komponisten, wie beispielsweise das Concerto for Clarinet von Artie Shaw.

Sie haben dann aber auch versucht, Klassik und Jazz zusammenzubringen.
Ja, wie wir das letztens mit dem Orchestre Place de l’Europe gemacht haben. Ich spielte die Rhapsodie von Debussy und das Konzert von Shaw. Und danach haben Benjamin Schäfer, der Dirigent des Orchesters, der ja eigentlich Schlagzeuger ist, und ich auf der Bühne gejamt. Übrigens, auch der zweite Violinist des Quatuor Hanson ist an sich Jazz-Musiker. Wir haben nächtelang in Paris zusammengespielt. Ich wusste anfangs überhaupt nicht, dass er in einem preisgekrönten klassischen Streichquartett spielt.

Daher wohl dann auch die Initiative zu Ihren ‘Bewitched’-Projekt….
Ja,  indem man Grenzen sprengt, kann man verschiedene Musikstile zusammenbringen. Bewitched ist an sich der Titel eines Jazz-Songs von Ella Fitzgerald, der von zwei Menschen erzählt, die sich finden, aber nicht zusammenpassen und letztendlich wieder ihre eigenen Wege gehen. Für mein Projekt bedeutet Bewitched das Zusammenbringen von verschiedenen Musikrichtungen, die auf den ersten Blick nicht zueinander passen aber trotzdem sehr gut zusammen funktionieren können. Die Musiker kommen demnach aus verschiedenen Bereichen wie Jazz, Orchester oder Kammermusik. Aber alle sind neugierig und wollen zusammen frische, unbetretene Wege gehen und Neues ausprobieren. Ich habe deshalb zwei befreundete Komponisten, nämlich Philippe Maniez, der aus dem Jazz kommt und Julien Giraudet, der eher ein zeitgenössischer Komponist und Arrangeur ist, gebeten, neue Werke für uns zu schreiben. Übrigens, das Ensemble ist variabel und kann vom Sextett bis zu 30 Musikern gehen und nahezu alle Instrumente von Violine über Harfe, Gitarre, Schlagzeug bis hin zu Holz- und Blechbläsern  sind vertreten. Grenzen sprengen kann ja so bereichernd sein. Man muss sich eben nur trauen und einfach Spaß daran haben.

Der Gesang der Klarinette

 

  • Pizzicato

  • Archives