Die junge Violinistin Franziska Hölscher legt bei Avi ihr Debutalbum mit dem Titel Sequenza vor. Das längste Werk ist ein Klassiker, nämlich Robert Schumanns große viersätzige Violinsonate Nr. 2 op. 121, die 1853 von Clara Schumann und Joseph Joachim uraufgeführt wurde. Franziska Hölscher und der Pianist Severin von Eckardstein erweisen als bestens eingespieltes Duo, das Schumanns Musik mit einer lebendigen, kommunikativen und oft sehr intimistischen Wiedergabe zu begegnen weiß.
Hölscher ist keine Interpretin, die das ‘Hoppla, jetzt komm ich’-Spiel in den Vordergrund stellt. Somit entgeht sie jedem plakativen Effekt und bietet dem Hörer eine sehr reife und wunderschön ausgespielte Interpretation. Severin von Eckardstein ist ein idealer Partner, dessen Spiel weit über eine reine Begleitung hinausgeht und der sich als kreativer Mitgestalter der Musik sieht. Der Hörer erlebt demnach eine sehr vielschichtige, hochinteressante und vor allem sehr ehrliche Interpretation dieser 2. Violinsonate.
Mindestens so begeisternd sind auch die vier Solostücke für Violine, die Franziska Hölscher ausgewählt hat. Die CD beginnt mit der Sonata XVI: Passacaglia aus den Rosenkranz-Sonaten von Heinrich Ignaz Biber (1644-1704), für mich persönlich eines der schönsten Werke, die je für die Violine komponiert wurden.
Auch zeitgenössische Werke haben Einzug in das Programm gefunden. Was Biber, Bach und Paganini früher für die Solovioline waren, das sind Salvatore Sciarrino (*1947) und Luciano Berio (1925-2003) für die Gegenwart. Aus den 6 Capricci per Violino Solo (1976) von Salvatore Sciarrino hören wir die Nr. 2, Andante und die Nr. 5, Presto, von Luciano Berio die Sequenza VIII per Violino Solo (1976). Hölscher spielt diese Werke quasi aus einem Atem heraus und verbindet sie so zu einer zeitumspannenden einzigen viersätzigen Sonate. In ihrem äußerst musikantischen und auf Schönheit und Ausdruck bedachten Spiel schlägt sie so eine Brücke zwischen der wunderbaren barocken Musik von Biber hin zu den extravaganten Solostücken eines Sciarrino und Berio.
Spieltechnisch ist Hölscher überragend, jede Note, jede Phrasierung entspringt einem tiefen und sehr natürlichen Verständnis für das Wesentliche. In diesem Sinne ist diese Debut-CD ein genialer Wurf, der interpretatorische Maßstäbe setzt und uns eine Künstlerin entdecken lässt, die wirklich etwas zu sagen hat. Vor allem hat sie uns Hunger auf mehr gemacht. Wie wäre es denn mit einer Gesamtaufnahme der Rosenkranz-Sonaten oder der Sciarrino-Capricci?