Diese Aufnahme bietet mal wieder die Gelegenheit, sich daran zu erinnern, wie sich innerhalb einer oder vielleicht eineinhalb Generationen die Auffassung, wie denn barocke Werke zu spielen seien, kolossal verändert hat. Mein Vater würde mit seinen 86 Jahren diese beiden CDs hassen, weil sie ihm viel zu hektisch und akzentuiert sind. Er ist mit dem Münchener Bach Orchester und Karl Richter groß geworden oder dem anderen Karl, Karl Münchinger, und dessen Stuttgarter Kammerorchester. Diese entwickelten die Musik in aller Ruhe und sozusagen spiegelglatter Wasseroberfläche. Heute hören wir eilende, wenn nicht getriebene Auffassungen, die mit Akzenten und Strukturierungen eine abwechslungsreich gestaltete, oder anders betrachtet unruhig aufgewühlte rhetorische Musiklandschaft bilden. Die ist dann nicht dazu geeignet, sich von der Musik wiegen zu lassen, sondern die Hörwanderung sozusagen über Stock und Stein und steile Passagen bis zur Erschöpfung mitzuerleben.
Ich habe den früheren Stil selber noch in Konzerten erlebt und habe mich über die Jahre mit dem heutigen Stil mitentwickelt. Zu den alten Zeiten möchte ich nicht zurück. Ob ich deswegen alle aktuellen Ansichten historischer Praxis teile, steht auf einem anderen Blatt.
Wie schon angedeutet, legen Isabelle Faust mit ihren Solisten im Duo, Bernhard Forck als Konzertmeister und zweiter Sologeiger sowie der Oboistin Xenia Löffler und der ‘Akademie für Alte Musik’ hier eine höchst athletisch eilende oder teilweise auch schon treibend wirkende Deutung vor, die mit allen Regeln der Kunst gestaltet ist.
Alle Musiker, insbesondere Isabelle Faust, haben, wie nicht anders erwartet, das notwendige technische Vermögen, auch die virtuos gespielten Passagen trotzdem noch so entspannt zu präsentieren, dass sie schnell, aber nicht gehetzt in unseren Ohren ankommen. Aber das erste Reinhören beim rekonstruierten Konzert g-Moll, BWV 1052R lässt einen aufschnellen, so hurtig wird es präsentiert.
Mit dem Hinweis auf die Rekonstruktion ist noch der Umfang der Violinkonzerte von Johann Sebastian Bach auf zwei Scheiben zu erläutern. Bach war selber ein hervorragender Geiger, der auch Zeit seines Lebens das Instrument spielte. Gesichert überliefert sind jedoch nur die beiden Solokonzerte in a-Moll und E-Dur sowie ein Werk für zwei Violinen und eines für Oboe und Violine. Im Beiheft ist erläutert, wie die Beteiligten sich den Zugang zu weiteren Werken, als da Konzerte, Triosonaten, eine Ouvertüre sowie Sinfonien und Sonaten aus Kantaten sind, die in anderen Besetzungen überliefert sind, erobert haben. Und dann haben sie diese auf Spuren einer ursprünglich für die Geige gesetzten Fassung durchsucht und dann diese vermutliche Version wieder hergestellt. So erklärt sich der Umfang.
Manche Deutungen weichen vom Bekannten ab. So wird etwa der langsame Satz des Konzertes in a-Moll mit einem durchgehaltenen gepolstertem Stampfen ungewöhnlich rhythmisiert.
Insgesamt betrachtet werden die Werke mit einer bis ins kleinste Detail ausgefeilten rhetorischen Weise vorgetragen, die der Rezitation eines emotionsgeladenen Gedichts gleichkommt. Das ist eine mehr als gelungene Lesart. Damit hat Isabelle Faust ihre schon sehr hörenswerte Bewältigung der Sonaten für Geige solo oder mit Cembalo nun auf das orchestrale Werk ebenso von Johann Sebastian Bach ausgeweitet.