Dmitrij Kitajenko wollte seinen Tchaikovsky-Zyklus beim Gürzenich-Orchester mit ‘Jolanthe’, der letzten Oper des Komponisten krönen. Das Krönungsfest in der Kölner Philharmonie war mehr als nur gelungen, es war ein opulenter, musikalisch bewegender Opernabend auf höchstem Niveau. Ein Ensemble ohne Fehl, ein Orchester, das Kitajenkos Dirigat zu hundert, wenn nicht mehr Prozent umsetzte, ein guter Chor…die Bedingungen waren ideal für den Dirigenten, der mit einer ungeheuren Konzentration alle Fäden in der Hand hielt und so seine Vision dieser romantischen Märchen-Oper mit Happy End realisieren konnte.
Gleichzeitig waren die beiden konzertanten Aufführungen (am 17. und 19. Oktober) ein nachhaltiges Bekenntnis Kitajenkos zu der Oper ‘Jolanthe’, die leider immer noch ein Mauerblümchen-Dasein fristet, trotz ihrer so positiven Handlung – über den Märchencharakter hinaus ist sie im Grunde ja metaphorisch ein wunderbares Bekenntnis zur Kraft der Liebe – und trotz ihrer wunderschönen Melodien. Tchaikovsky schuf mit dieser Oper ein bemerkenswert gut gemachtes Werk, dessen Orchestrierung überaus fein ist und immer den nötigen Raum für die Solostimmen schafft. Gustav Mahler hat sich nicht ohne Grund für ‘Jolanthe’ eingesetzt, eine Oper, die er immer in seinem Repertoire hatte.
Die Geschichte der blinden Prinzessin Jolanthe, die durch Liebe sehen lernt, ist unkompliziert. Die blinde Prinzessin wird von König René in einem geheimen Garten von der Außenwelt abgeschirmt und weiß nicht, dass sie blind ist. Der maurische Arzt Ibn Hakia teilt dem König mit, er könne seine Tochter nur heilen, wenn sie um ihre Behinderung wisse und selbst den Willen habe, geheilt zu werden. Dass sie blind ist, erfährt sie schließlich von dem Mann, der sie später heiraten wird, Prinz Vaudrémont. Doch Jolanthe ist mit Prinz Robert verlobt, der sie noch nie gesehen hat und ohnehin eine andere liebt. Als die Prinzessin dann schließlich geheilt ist, hebt der Vater die vereinbarte Verlobung mit Robert auf und erlaubt die Heirat seiner Tochter mit Vaudrémont. Dem Glück der durch Liebe sehend Gewordenen steht nichts mehr im Weg.
Die junge russische Sopranistin Olesya Golovneva sang eine bewegende Jolanthe. In ihrer stimmlichen Darstellung ließ sich der Weg von der Blindheit zum Sehen gut nachvollziehen, weil sich die anfangs fragile Stimme am Ende emotional und dynamisch erhitzte und so glaubhaft vermittelte, dass Jolanthe ein anderer Mensch geworden war. Golovneva ging wirklich völlig in ihrer Rolle auf.
Der ukrainische Tenor Dmytro Popov, bekannt geworden als Gewinner des Domingo-Wettbewerbs, war eine in allen Hinsichten optimale Besetzung für den Graf Vaudrémont.Seine Empfindsamkeit und die Strahlkraft der Stimme brachten genau die leidenschaftlicher Lyrik zustande, die die Rolle verlangt.
Die stärkste stimmliche Leistung kam von dem prächtigen Bass Alexander Vinogradov. Der 38-jährige, eher schmächtige Russe überzeugte nicht nur mit einer wunderbar geführten, von schwarzer Tiefe bis in baritonale Höhe sehr ausgeglichenen und immer gut fokussierten Stimme, er konnte auch sehr gut vermitteln, wie sehr König René, der seine Tochter liebt, unter ihrer Behinderung leidet und dabei durch eine falsche Fürsorge mehr Schaden als Nutzen anrichtet.
Der junge ukrainische Bariton Andrei Bondarenko sang einen großartigen Robert von Burgund. Mit seiner feinen, von angenehmem Schmelz gezeichneten Stimme zeigte er viel Gefühl für die Rolle.
Ganz ausgezeichnet waren auch Vladislav Sulimsky als Ibn-Hakia und die israelische Mezzosopranistin Dalia Schaechter, die wir schon als Herodias in ‘Salome’ in Bologna bewundert hatten. Sie sang eine charaktervolle und stimmlich sehr prägnante Martha. Die Nebenrollen waren ebenfalls sehr gut besetzt, und so kommen wir zu der eher seltenen Feststellung, dass für diese Aufführung ein Casting ohne jeden Kompromiss gemacht worden war und sich uns ein Ensemble präsentierte, das in allen Rollen exzellent war.
Auch der Chor der Oper Köln ließ keine Wünsche offen und das Gürzenich-Orchester Köln Orchester glühte mit Kraft und Expressivität zwischen zartesten, wunderbar abgetönten und kammermusikalisch ausgefeilten Klängen sowie aufrauschenden, dramatischen Fortissimi, immer konzentriert, immer spannungsvoll den Bogen aufbauend vom düsteren Anfang bis zum jubilierenden Schluss.
Der Maître d’œuvre des Ganzen war natürlich der Dirigent Dmitrij Kitajenko, der nichts dem Zufall überließ und die ganze Oper hindurch eine totale Kontrolle ausübte. Wer ihn beobachtete, sah, wie sich die ganze Musik in seinem Körperausdruck resümierte. Mit Fingern, Händen, Armen, Blicken, Mimik, Schultern und Knien war er für jeden da, fürs Orchester so gut wie für den Chor und die Sänger, denen er nicht nur jeden Einsatz genau vorgab, sondern auch die Vokallinien vorzeichnete. Es ist selten geworden, dass man einen Dirigenten sieht, der sich so sehr um die Sänger kümmert, sie so perfekt trägt. Diese Kunst verlangt die Paarung einer perfekten Beherrschung des Handwerklichen und einer guten Portion Genialität. Nur so kann das Dirigieren über das Technische hinaus eine derartig suggestive Ausstrahlung erlangen, dass ein über hundertköpfiges Ensemble im Gleichtakt der Inspiration des den Gesamtklang homogen formenden Dirigenten funktioniert.
Der ‘Jolanthe’ wurde also in Köln eine Interpretation zuteil, in der sich das Schönste in schönster Weise realisierte, als Resultat eines Gestaltens aus dem Innersten des Kunstwerks heraus sowie aus dem spontanen Gefühl eines wahrhaft lebendigen Musizierens. Glücklicherweise wurden die beiden vom Kölner Publikum bejubelten Vorstellungen aufgezeichnet, so dass sich ein weltweites Publikum auf die CD-Veröffentlichung bei Oehms Classics freuen darf.