Jean de Montchenou, ein Geistlicher aus Genf, muss ein übler Zeitgenosse gewesen sein. Er war allerdings ein Gauner mit exquisitem Kunstverstand. Nur so konnte jene Sammlung entstehen, die als ‘Chansonnier Cordiforme’ bekannt ist und hinsichtlich Form und Graphik manchem heutigen CD-Cover-Gestalter die Schamesröte ins Gesicht treiben dürfte. Hier erkennt man nicht nur solides Handwerk, sondern echtes gestalterisches Können.
Dieses darf man selbstverständlich auch den Musikern des 15. Jahrhunderts zusprechen, seien es die vielen anonymen Autoren dieser Sammlung, seien es bekannte Namen wie Gilles Binchois oder Guillaume Dufay. Auch sie waren keine Amateure, keine Stümper, sondern Musiker, die es in höchstem Maße verstanden, Dichtung in Klang umzusetzen. Das Resultat ist eine seltene Einheit von Buch- und Tonkunst, die mit der Interpretation des Ensembles Leones zu einer nahezu vollkommenen Trias wird.
Mark Lewon und sein Team verstehen es, die 19 ausgewählten Liebeschansons, die von Verlangen, Schmerz, Leidenschaft, Sehnsucht und Melancholie singen, rhetorisch akkurat auszuformen. Jeder Ton, jede Stimmung wird klar artikuliert. Man spürt förmlich die Entdeckerlust, mit der Lewon und seine Mitstreiter sich einmal mehr auf eine Zeitreise gemacht und einen verborgenen Schatz ausgegraben haben.