Johann Sebastian Bach

Ein informatives und bislang unbekanntes Dokument zu Johann Sebastian Bachs Wirken als Thomaskantor wurde durch einen Mitarbeiter des Bach-Archivs Leipzig in Döbeln entdeckt. Der Brief eines Bach-Schülers belegt, dass sich der Komponist in seinen späten Lebensjahren weitestgehend von seinen Aufgaben als Kantor und Leiter der Kirchenmusik zurückgezogen hatte.

Der letzte Lebensabschnitt des Thomaskantors lag bis dato weitgehend im Dunkeln. Der Fund gelang Michael Maul im Finale des durch die Henkel Stiftung finanzierten Forschungsprojekts ‘Systematische Erkundung der Lebenswege von Bachs Thomanern’, das 2012 anlässlich des 800-jährigen Bestehens des Thomanerchors initiiert wurde.

In den Jahren 2012 und 2013 erkundeten Mitarbeiter des Bach-Archivs Leipzig systematisch die Lebenswege der insgesamt 325 Thomaner, die während Bachs 27-jährigem Thomaskantorat (1723–1750) das Internat der Schule besuchten. Jeder vierte  Bach-Thomaner war später selbst als Kirchenmusiker und Schullehrer tätig. Dank intensiver Recherchearbeit in mitteldeutschen Archiven, fanden sich zahlreiche Dokumente, die das Leben und die Unterrichtsprinzipien an der Thomasschule erhellen.

Der neue Brief-Fund im mittelsächsischen Stadt Döbeln stammt vom Bach-Thomaner Gottfried Benjamin Fleckeisen (geb. 1719 in Döbeln), 1732 bis 1744 Internatsschüler der Thomasschule, berichtet hier 1751 anlässlich seiner Bewerbung um das Kantorat in Döbeln, er habe in Leipzig »an statt des Capellmeisters« Bach »zwey ganze Jahre« die Musik an den beiden Kirchen St. Thomas und St. Nikolai »aufführen und dirigiren müssen« und dabei »allezeit mit Ehren bestanden«.

Die Behauptung bezieht sich wahrscheinlich auf die Jahre 1744 bis 1746, als Fleckeisen nachweislich noch im Alumnat der Schule wohnte, jedoch bereits an der Universität Leipzig Theologie studierte. Für diese Zeit, wie überhaupt für die 1740er Jahre, tappt die Bach-Forschung bislang weitgehend im Dunkeln, was die Frage nach den damals von Bach aufgeführten und komponierten kirchenmusikalischen Werken betrifft. Nun zeichnet sich ab, dass Bach sich in seinen späten Lebensjahren weitestgehend von seinen Aufgaben als Kantor und Leiter der Kirchenmusik zurückgezogen hat, obwohl dies bis zuletzt die Tätigkeit war, für die er als Thomaskantor bezahlt wurde.

Was die Gründe für diesen vorzeitigen oder zwischenzeitlichen Ruhestand waren, lässt sich nur vermuten. War es ein selbstverordneter Ruhestand, weil Bach in Folge der langjährigen Streitigkeiten mit seinen Vorgesetzten über den Stellenwert und die finanzielle Ausstattung seiner Kirchenmusik amtsmüde war und sich auf andere Projekte konzentrieren wollte? War er schwer erkrankt? Dagegen spricht, dass er in den 1740er Jahren häufig Reisen unternahm, unter anderem 1747 zu Friedrich dem Großen nach Berlin. Oder hatte die Leipziger Obrigkeit, die schon länger mit der Disziplin und der Arbeitsmoral des als »unfleißig« und »incorrigibel« bezeichneten Kantors haderte, jene Entscheidung veranlasst und Bach (zwischenzeitlich) von seinen Aufgaben entbunden?

Angesichts des Brief-Fundes wird zumindest verständlicher, weshalb der Leipziger Rat im Juni 1749, also ein Jahr vor Bachs Tod, den anscheinend ‘pietätlosen’ Schritt unternahm, ein Probespiel für den künftigen Thomaskantor zu veranstalten: für den Fall eines »dereinst sich ereignenden Abgang Herrn Bachs«. Zu diesem Fund und seinen Konsequenzen wird Bach-Forscher Michael Maul ausführlich im Bach-Jahrbuch 2014 publizieren.

www.bach-leipzig.de

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