Ungern gibt man zu: Bei kostspieligen Sanierungsprojekten überschlägt man schon mal im Kopf, ob die vielleicht horrenden Summen, die beispielsweise für eine Orgel anfallen, anderswo nicht nötiger gebraucht würden. Eine CD wie ‘Stay, ye angels’ – sie vereint eingespielt von der Gaechinger Cabtorey unter Hans-Christoph Rademann die Bach-Kantaten BWV 19, 169, 158 und 149 – rückt den Blick dann wieder gerade: Mag sein, doch hier lohnt(e) die Investition, ist das im Jahr 2000 restaurierte Instrument in der Naumburger Stadtkirche St. Wenzel doch die einzige authentisch erhaltene Bach-Orgel weltweit.
Sie stammt aus der Werkstatt von Zacharias Hildebrandt, geprüft wurde sie seinerzeit von keinen Geringeren als Orgelbauer Gottfried Silbermann und Thomaskantor Johann Sebastian Bach persönlich, gespielt wird sie hier von David Franke. In der Kantate ‘Es erhub sich ein Streit’ schmückt sie den Choral filigran mit Miniaturinterludien aus und verleiht der konzertanten Sinfonia in BWV 169 (Gott soll allein mein Herze haben) einen fulminanten Goût. Ein Foto im Booklet dokumentiert, welchen Herausforderungen sich das Team des Labels Accentus zu stellen hatte: Der Chor ist unterhalb des Orgelprospekts und über dem Orchester positioniert – der erzielte und gut ausbalanciert eingefangene Raumklang ist allerdings beachtlich.
Chor und Orchester der Gaechinger Cantorey lassen absolut keine Wünsche offen, Hans-Christoph Rademann leitet eine in allen Belangen vorbildliche Gestaltung. Auch das Quartett der Solisten gefällt, vor allem der klare Tenor von Benedikt Kristjansson (wundervoll seine Arie ‘Bleibt, ihr Engel’, die der CD ihren englischen Titel gab), der unprätentiöse Bass von Peter Harvey und der charaktervolle Alt von Anke Vondung; ebenfalls klangschön, wenn auch in BWV 19 mit einem Hauch zu viel Vibrato der Sopran von Lenneke Ruiten. Und da wir gerade bei den wirklich rasch abzuhakenden Randnotizen sind: Im dank der klug und lesenswert formulierten Einführung von Holger Schneider höchst informativen Booklet fehlen die Kantatentexte.
Doch das war es dann auch schon, denn viel mehr freuen einen die Vorzüge dieser Aufnahme: das vital musizierende Orchester, die Präsenz der Solisten, das passgenaue Zusammenspiel mit der Kirchenorgel, die eindringliche Gestaltung der Arien und Rezitative, Chöre und Choräle ganz im Sinne der Exegese, der tänzerische Charakter im Eingangschor von BWV 149, der barocke Glanz der Trompeten. Kurz: Die Bach-Kantaten sind derart kundig und gehalt- wie klangvoll interpretiert, dass man sich nach 73 Minuten und 49 Sekunden doch gerne bald ein Da capo gönnen möchte.