Barenboims Mailänder Ring gibt es nun in einem einzigen Blu-ray-Set. Bei den Einzelveröffentlichungen hatte die Produktion in der Regie von Guy Cassiers unterschiedliche Gefühle ausgelöst, wie hier nachzulesen ist.
Richard Wagner: Das Rheingold; René Pape (Wotan), Stephan Rugamer (Loge), Johannes Martin Kränzle (Alberich), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Mime), Kwangchul Youn (Fasolt), Doris Soffel (Fricka), Anna Larsson (Erda), Teatro Alla Scalla, Daniel Barenboim; Inszenierung: Guy Cassiers ;
Richard Wagner: Die Walküre; Nina Stemme (Brünnhilde), John Tomlinson (Hunding), Waltraud Meier (Sieglinde), Simon O’Neill (Siegmund), Ekaterina Gubanova (Fricka), La Scala Orchestra, Daniel Barenboim; Inszenierung: Guy Cassiers
So manche Schlussfolgerungen kann man nach den beiden ersten Abenden dieses Mailänder ‘Ring des Nibelungen’ ziehen. Zunächst die, dass die beiden ersten Abende des Rings 2010 in Mailand besser besetzt wurde als es anderen Opernhäusern gelang. Was in beiden Livemitschnitten musikalisch herüberkommt, ist mit wenigen Einschränkungen grandioser Wagner.
Eine andere Feststellung drängt sich auf: Wenn ein Regisseur die Grundrichtung nicht in Frage stellt und seine Modernität mit allerlei Schnickschnack manifestiert, die man angesichts der musikalischen Leitung akzeptieren kann, dann soll es halt so sein. Visuell ruft Guy Cassiers Inszenierung den ‘Fura dels Baus’-Ring aus Valencia in Erinnerung, ohne dessen Konsequenz in der Durchführung und ohne dessen Fantasie in der Ausstattung.
Auch der Mailänder Ring lebt von großflächigen Projektionen, die im ‘Rheingold’ aufdringlicher wirken als in der ‘Walküre’. Auf etliche kitschige Details, etwa die drehende Diskokugel, hätte man gerne verzichtet, und die Kostüme der Damen hätten auch nicht aussehen müssen wie die schönsten Roben von Hochpreis-Couturiers, aber, wie gesagt, man kann’s verkraften.
Selbst die während der ganzen ‘Rheingold’-Oper herumtanzende ‘Eastman Ballet Company’, die Handlungsstränge verdeutlichen soll, ist ein Element, das zwar eigentlich überflüssig ist, aber zumindest das Ganze nicht ‘ad absurdum’ führt.
Der Vorteil der Verfilmung durch Emanuele Garofalo ist, dass die Kamera immer ziemlich nahe an den Sängern ist und das Inszenierungskonfetti meistens nicht berücksichtigt.
Im ‘Reingold’ ist René Pape ein beeindruckender Wotan mit einer lyrischen, aber falls nötig auch leidenschaftlich-dramatischen Stimme. Schade, dass er für die ‘Walküre’ absagte.
Johannes Martin Kränzles Alberich hat Format, und auch Stephan Rügamer überzeugt als Loge vokal und darstellerisch. Die anderen Herrenrollen sind gut besetzt, insbesondere Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Mime (schöne, reine Tenorstimme) und Kwangchul Youn als stimmgewaltiger Fasolt.
Die Damenrollen sind ausnahmslos gut besetzt, mit Ausnahme von Doris Soffel, deren Fricka etwas viel Vibrato hat.
Der zweite Teil der Tetralogie ist im Großen und Ganzen nicht weniger überzeugend als der erste und lebt genau so von Daniel Barenboims inspiriertem Dirigieren und, vor dem heimischen Schirm, vom Talent des Bildregisseurs, der einmal mehr die handelnden Personen in den Vordergrund stellt und die Bühne damit weitgehend unbeachtet lässt.
Anstelle von René Pape, der zu dem Zeitpunkt eine Karrierenpause einlegte, singt der Ukrainer Vitalij Kowaljow. Er erledigt sich seiner heiklen Aufgabe nicht schlecht, aber es fehlt ihm doch sowohl an stimmlicher Souveränität als auch an Persönlichkeit. Simon O’Neill ist ein herausragend guter Siegmund, ein richtiger Wagner-Tenor mit leuchtender Höhe, schlank und gleißend wie Nothung, scharf wie ein Laserstrahl und das alles mit einer bestaunenswerten Mühelosigkeit. Der Neuseeländer überzeugt stimmlich und interpretatorisch. Ihm gegenüber steht der schwache Opa-Hunding von John Tomlinson.
Waltraud Meier als wundervolle Sieglinde ist darstellerisch und sängerisch hinreißend, sowohl wegen der Intensität, mit der sie die Rolle gestaltet, als auch wegen der Nuancen, zu denen sie dabei fähig ist.
Nina Stemme ist in der Rolle der Brünnhilde eine großartige Darstellerin und eine grandiose Sängerin. Ekaterina Gubanova singt eine exzellente Fricka.
Ein weiterer Vorzug dieser Aufnahme ist das Orchester der Scala, das sich von Daniel Barenboim zu leidenschaftlichem, detailreichem und gleichzeitig hell-schlankem Musizieren inspirieren lässt.
Mostly excellent singers, a good orchestra and an outstanding conductor let the first evenings of the Milan ‘Ring’ become the best heard in years. Guy Cassier’s staging lacks coherence and is overloaded with odd symbolism, but since the video director is concentrating on the singers, the director’s staging confetti doesn’t disturb too much. At the end, we have the impression of an enthralling performance in many respects, led by a fully experienced Wagner conductor, Daniel Barenboim, with the profound conviction that comes from experience rather than from an ego.
Richard Wagner: Siegfried; Lance Ryan, Peter Bronder, Terje Stensvold, Johannes Martin Kränzle, Alexander Tsymbalyuk, Anna Larsson, Nina Stemme, La Scala Orchestra, Daniel Barenboim; Regie: Guy Cassiers
Hatte in den beiden ersten Teilen des Wagnerschen ‘Ring des Nibelungen’ die postmoderne, von Projektionen geprägte Inszenierung des Belgiers Guy Cassiers noch Zustimmung gefunden, müssen wir feststellen, dass dem Regisseur für den ‘Siegfried’ nicht mehr besonders viel eingefallen ist, um das Visuelle in der Oper wirklich attraktiv werden zu lassen.
Bei den Sängern gibt es jedoch glücklicherweise viel Gutes zu berichten. Nina Stemme ist eine herausragend gute und stimmgewaltige Brünnhilde, Alexander Tsymbalyuk ein Fafner mit einer prächtigen Stimme. Johannes Martin Kränzle kann mit seiner reichen Baritonstimme dem Alberich einen prägnanten Charakter geben, während Peter Bronder den Mime zwar sehr gut darstellt, die Stimme aber letztlich etwas monoton und eindimensional wirkt. Anna Larsson singt eine gute Erda.
Lance Ryan hat das Durchhaltevermögen, um den Siegfried von Anfang bis Ende mit unverändert kräftiger Stimme zu singen. Aber in den unteren Lagen ist doch recht viel Vibrato vorhanden, und die Stimme klingt nicht wirklich schön, weil der Kanadier das gesungene Wort zu breit werden lässt. Wirklich nicht gut finde ich die uncharakteristische, deklamatorische Stimme von Terje Stensvold in der Rolle des Wanderers und Rinnat Moriahs kühl-silbrigen Gesang in der Rolle des Waldvogels.
Das eindeutige Plus der Aufnahme ist das Orchester der Scala, das unter Daniel Barenboims Leitung wiederum zu großer Form aufläuft und an Farben alles mitbringt, was gerade die in dieser Hinsicht so reiche Partitur des ‘Siegfried’ braucht.
Siegfried is less convincing than the two first parts of Wagner’s Ring des Nibelungen from La Scala. Though Daniel Barenboim once more brings the Milanese Orchestra to a fascinating playing, and while we admire Nina Stemme (Brünnhilde), Johannes Martin Kränzle (Alberich) and Alexander Tsymbalyuk (Fafner), Lance Ryan’s voice is not really fine and beautiful in the lower range. Rimat Moriah’s chilly Waldvogel is as disappointing as Terje Stensvold’s poor vocal characterization of the Wanderer.
Richard Wagner: Götterdämmerung; Lance Ryan (Siegfried), Irène Theorin (Brünnhilde), Mikhail Petrenko (Hagen), Johannes Martin Kränzle (Alberich), Gerd Grochowski (Gunther), Waltraud Meier (Waltraute, 2. Norn), Anna Samuli (Gutrune, 3. Norn), Orchestra e Coro del Teatro alla Scala, Daniel Barenboim; Regie: Guy Cassiers
Mit einer Flut an optischen Reizen macht Guy Cassiers, dem im Laufe der Tetralogie die wirklichen Ideen ganz ausgegangen sind, die ‘Götterdämmerung’ zum Videospektakel. Natürlich darf der seit dem ‘Rheingold’ immer wieder auftauchende Monumentalfries des Antwerpener Bildhauers Jef Lambeaux nicht fehlen. Er stört letztlich jedoch mehr als er wirklich bringt. Bleiben, zur Freude des Auges, die schönen Videobilder, aber genügt das als Regiekonzept? Eher nicht!
Positives und leider auch Negatives gibt es auf Sängerseite. Den schlimmsten Eindruck macht Lance Ryan. Nicht nur, dass der Kanadier darstellerisch recht plump wirkt, er ist stimmlich kaum zu ertragen. Er singt schlampig, sprunghaft, unangenehm breit, mit einem furchtbaren, nicht zu ertragendem Vibrato, schlechter Artikulation und jeder Menge Intonationsfehlern. Da auch die Nornen – ausgenommen die zweite (Waltraud Meier) – mit eher schwachen Stimmen, von spitz bis matt keinen guten Eindruck machen und Iréne Theorin bestenfalls einige Hoffnungsschimmer aufkommen lässt, ist der Prolog eine einzige Qual.
Glücklicherweise zeigen der exzellente Mikhail Petrenko und Gerd Grochowski dann im ersten Akt, dass guter Wagner-Gesang auch heute noch möglich ist. Mit seinem kernigen Timbre ist Grochowski ein expressiv und souverän singender Gunther, während Petrenko einen fast eleganten Hagen singt, markant, aber weniger schwarz als andere Bassisten. Er singt dynamisch sehr gut differenzierend und gibt der Figur eine Intelligenz, die dem scharfen Intriganten gut steht.
Ryan bleibt so schlecht wie im Prolog und Anna Samuils scharfer Sopran will mir auch nicht wirklich gefallen. Johannes Martin Kränzle ist auch in diesem Teil der Tetralogie ein zuverlässiger Alberich, während Waltraud Meier die Waltraute in der erwarteten Qualität singt und im Duo mit Theorin einiges an Gefühl in die Musik bringt. Theorin ist neben Meier und Petrenko vokal quasi unanfechtbar. Ihre Stimme ist zu sehr schönen, leisen Tönen gerade so fähig wie zu strahlendem Glanz.
Daniel Barenboim und das Orchester halten im Orchestergraben das Niveau, an das sie uns seit dem ‘Rheingold’ gewöhnt haben. Kammermusikalisch fein differenziert, von expressiver Kraft und ungemein farbig: Wagners Orchestermusik hat nicht oft so gut geklungen. Wäre da nicht der Störfaktor Ryan… Wegen ihm werde ich dieses Video nie wieder in den Player legen.
Barenboim’s conducting is outstanding and some singers (Theorin, Petrenko, Meier) are too, but this last part of the Ring suffers from a poor concept and especially from a disastrous Siegfried. Lance Ryan’s voice is beyond anything the ear can tolerate in terms of vibrato, pitch and voice stability.