Wenn ein Ensemble mit diesem Stück, Passion von Pascal Dusapin vertraut ist, dann das Ensemble Modern aus Frankfurt am Main. Schon 2008 bei der Uraufführung beim Festival d’Aix-en-Provence waren sie tonangebend. Und sie haben den Kontakt zum Werk nicht verloren, so dass sie jetzt eine Einspielung vorlegen.
Der Kompositionsauftrag aus Aix verpflichtete Dusapin, bei Monteverdi anzusetzen. Und so wählte er die erste aller Opern, Orfeo. Doch bei ihm dreht sich die Geschichte sozusagen: Euridice weigert sich, aus dem Totenreich zurückzukommen, da sie als Vorwissende das Ende kennt. Und Orpheus muss sich zu ihr hinabbewegen. Dusapin geht noch weiter, wenn er die Beteiligten zeitlos universell als ‘Er’ und ‘Sie’ und den Chor als ‘Die Übrigen’bezeichnet. Sein vertonter Augenmerk, übrigens ohne jegliches Zitat, liegt auf den Affekten, mit denen Monteverdi einst seine Hauptfiguren konturierte. Von der fortwährenden Bewegung der Leidenschaften angetrieben, die ineinander übergehen, gibt die Musik von Dusapin einem keine Chance, Klang und Wort zu unterscheiden. Die Leidenschaften klammern sich aneinander, stehen sich gegenüber und teilen sich in mehrere Wege, die von den immerwährenden Gefühlen, Angst, Freude, Schmerz, Schrecken, Verlangen, Ekstase, Trauer, Liebe und Zorn, durchzogen sind. Damit zeige Dusapins Stück in losen Bildern genau das, was uns bis heute vertraut ist und was unser Leben ausmacht, heißt es zutreffend in der Pressemitteilung.
Dabei tritt die Partitur in einen Dialog mit der barocken Tradition. Ein Cembalo, wie immer beim Ensemble Modern in den alles Moderne bezwingenden und grandios darstellenden Händen von Ueli Wiget, untermauert Dusapins leise dissonante Texturen. Die Gruppe von Sängern, die Anderen, kommentieren, wie bei der Aufführung vor zehn Jahren in Luxemburg wahrzunehmen, hinter der Bühne wie ein Madrigalconsort die Emotionen, die das Werk letztendlich bestimmen. Vielleicht passt dazu die Sprache der Oper, Italienisch, besonders gut.
Lei und Lui, Sie und Er, und Die Anderen, Gli altri, sind Abstraktionen der Helden des Gründungsmythos der Oper. Allein stimmlich sind die Rollen der ‘Lui’ und ‘Lei’ herausfordernd. Dusapin hat sie dezidiert auf die Stimmen von Barbara Hannigan und Georg Nigl hin geschrieben. Er wusste um die Ausdrucksvielseitigkeit der beiden Künstler, sowie ihre Leichtigkeit selbst in höchstem Register klangschön singen zu können. Nigl nahm seinen Part auch zur Aufnahme ein, während ‘Sie’ von Keren Motseri gesungen wurde.
Nigl hat die Rolle nicht nur mehrfach gesungen, sondern lebt sie inzwischen. Sein gerade auch an Dusapin – siehe auch die ICMA prämierte Aufnahme (Pizzicato-Rezension) – geschultes Verständnis dieser Musik ermöglicht ihm eine stupende Widergabe, die keine kein Zweifel an den Emotionen aufkommen lässt.
Doch auch die junge Keren Motseri bietet keine Anhaltspunkt dafür, dass sie die Rolle nicht angenommen hätte oder den Anforderungen stimmlich nicht gewachsen ist. Vielleicht ein einziger Moment verrät Angestrengtheit. Ansonsten bewältigt sie ihre Aufgabe stimmlich genauso mit Bravour wie sie die Gefühlsbewegungen deutlich macht.
Nicht minder wichtig das Vocalconsort Berlin, dass die Kommentare in mustergültiger Geschlossenheit und Variabilität einfließen lässt.
Es gibt sehr schöne Musik in diesem Werk, das man auch als Kantate und nicht als Oper, hören könnte. Das Ensemble Modern unter der Leitung von Franck Ollu wird der kleinteiligen intensiven Partitur für Kammerorchester mehr als gerecht. Es begleitet die Vokallinie, ohne sie jemals zu drängen oder gar zu überschreiten. Darin zeigt sich dann einmal mehr, dass ein Spezialensemble für Neue Musik ebenso wertvoll ist wie eines für alte.