Im Frühling feiert die Musikwelt die Geburtstage großer Barockmusiker: Georg Friedrich Händels Wiegenfest am 5., Georg Philipp Telemanns am 14. und Johann Sebastian Bachs am 21. Doch was wären die Heroen ohne ihre Interpreten, die ihre Musik ins Heute ziehen und sie damit pflegen wie bewahren? Einer dieser Künstler ist der am 25. März 1949 in Kleve geborene Sänger Klaus Mertens, der heute seinen 75. Geburtstag feiert. Und wir feiern gerne mit, ist er doch einer der wichtigsten Stimmen der Alten Musik. Natürlich nicht nur dort, aber vor allem hier hat er bis zum heutigen Tage Maßstäbe gesetzt.
Im Jahr 1975 sang der Schauspieler Curd Jürgens das von Hans Hammerschmidt komponierte und von Miriam Frances getextete Chanson „60 Jahre und kein bisschen weise“ – bei Klaus Mertens darf man an zwei Stellen umdichten: Er ist 75 Jahre und kein bisschen leise! Das zu erwähnen ist deshalb geboten, weil es eigentlich unfassbar ist, dass ein Sänger in diesem Alter noch so exzellent bei Stimme ist. Man kann Aufnahmen von vor 30 Jahren nehmen und mit heutigen vergleichen – die Qualität des Organs ist ungebrochen, sein warmer und kraftvoller Bassbariton ist einzigartig, strahlt mit noblem Brillanzkern und kann ebenso lyrisch weich wie energisch zupackend klingen.
Erst im Sommer des vergangenen Jahres konnte man Mertens im Rahmen der Internationalen Musiktage Wörrstädter Land in einem Konzert mit seinem Freund Ton Koopman erleben, der im Oktober übrigens seinen 80. Geburtstag feiert – auch er ist Gott lob kein bisschen leiser geworden. Gemeinsam haben beide Künstler das geistliche Werk von Johann Sebastian Bach und Dieterich Buxtehude auf CD gebannt und der Musikwelt somit weitaus mehr als Referenzaufnahmen geschenkt.
2016 wurde Klaus Mertens der Telemann-Preis verliehen, womit die sachsen-anhaltinische Landeshauptstadt Magdeburg den außerordentlich intensiven Umgang des renommierten Sängers mit Telemanns Vokalwerk würdigte. Insbesondere seine Interpretationen von Liedern, Kantaten und Oratorien setzten Maßstäbe und offenbarten sein besonderes Verständnis für Stil und Duktus der barocken Sprache und Telemanns Vokalmusik. „Beispielhaft ist aber auch seine Art, Bekanntes neu zu durchdringen und zu präsentieren, um dem Werk besondere Wirkungsmöglichkeiten sowie dem Publikum neue musikalische Aspekte zu eröffnen“, hieß es seinerzeit in der Laudatio.
Gleiches gilt übrigens für die Musik späterer Zeit. So nahm Mertens für das Leipziger CD-Label Rondeau romantische Lieder des schweizerischen Komponisten Friedrich Theodor Fröhlich auf; demnächst erscheint dort eine CD mit Musik von Johann Vesque von Püttlingen, einem österreichischen Liedschöpfer zwischen Franz Schubert und Johannes Brahms. Die Diskographie Mertens‘ ist mit mehr als 200 Titeln einladend ausladend: von Bachs h-Moll-Messe unter Rudolf Lutz (2017) über „Telemanns Hauspostille“ (2016), Lieder und Oden von Lorenz Christoph Mizler (1711-1778) bis zu solchen von Franz Schubert (2012) oder Felix Mendelssohn Bartholdy (2010).
Es ist oft auch das Vergessene, Verschollene, was diesen Sänger reizt: Erst jüngst erschien bei cpo der dritte Teil der Gesamteinspielung von Telemanns Kantaten des „Französischen Jahrgangs von 1714/1715“, bei dem Mertens nicht nur als Artist in residence, sondern auch als Chorstimme im zwölfköpfigen Ensemble der Gutenberg Soloists zu hören ist. „Mit unverwechselbarer Ausdrucksstärke, angenehm warmer Stimme, Textgespür und überzeugender Art des Musizierens ist [er] national und international ein exzellenter Botschafter für die Musik Telemanns sowie einer der bedeutendste Telemannsänger unserer Zeit“, hieß es, als der Jubilar in Magdeburg den Preis erhielt – die Worte haben sich so zeitlos erwiesen wie des Sängers Stimme.
2019 wurde Klaus Mertens als einem der prominentesten und gesuchtesten Interpreten barocker Oratorien- und Konzertliteratur die Bach-Medaille verliehen. Ganze Generationen hätten seine wunderbare Stimme im Ohr, hieß es damals in der Laudatio: Mertens vermöge mit seinem wunderbaren Timbre aus Bachs vielschichtiger Musik stets die richtige Botschaft zu vermitteln. Apropos: Der Sänger studierte Musik und Pädagogik, arbeitete anfangs als Lehrer. Ob Schüler seinerzeit wohl an seinen Lippen hingen wie seine heutigen Hörer?
Es mag sicherlich als brutaler Bruch erscheinen, den Namen Klaus Mertens jetzt in einem Atemzug mit dem des Kinderlieddichters Rolf Zuckowski zu nennen. Doch wer hier nun entsetzt die Luft anhält, dem sei kurz gesagt, dass jener 1981 mit „Wie schön, dass Du geboren bist“ eines der wenigen deutschsprachigen Geburtstagslieder schrieb. In dessen zweitem Vers heißt es nun weiter: „Wir hätten Dich sonst sehr vermisst!“ Und darein wird zweifelsohne wohl noch jeder Freund des Belcanto mit Herz und Seele einstimmen: Herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag!