Bayreuth, Festspielhaus

Man hat es ja schon so oft in Bayreuth erlebt: Gerade die Inszenierungen, die in ihren ersten Jahren vom Publikum ausgebuht und von der Kritik zerrissen wurden, haben sich zu wahren Kultinszenierungen entwickelt. In diesem Sinne müsste der ja fast hasserfüllte Buh-Orkan, den Frank Castorf und sein Team am Ende der Götterdämmerung haben über sich ergehen lassen mussten, ein Omen zu sein.

Nach den vielen negativen Beurteilungen vom Premierenjahr 2013 war ich demnach sehr gespannt auf das, was der provokante Regisseur in Sachen ‘Ring des Nibelungen’ zu sagen hat. Und eines vorweg. Ich war begeistert! Castorf rechnet mit dem Mythos ab und vergeht sich dabei regelrecht an den ‘heiligen’ Figuren Siegfried und Wotan. Und wie tief diese Archetypen doch in der deutschen Kultur verwurzelt sind, wie stark sie Identifizierungsfiguren für das bürgerliche Publikum Bayreuths sind, das merkte man besonders in den Festspielpausen, wo die gehobene Mittelschicht mit Entsetzen und mit Hass über Castorfs ‘Verbrechen’ diskutierte. Als Nichtdeutscher hat man da dann doch den Vorteil, viel unbefangener an eine solche Inszenierung heranzugehen und Wahrheiten zu finden, die es dem deutschen Bildungsbürgertum mit seinen oft eingeengten Vorstellungen viel schwieriger machen. Doch lebendiges Theater ist nun einmal eine ständige und kritische Auseinandersetzung mit der Welt. Wie heißt es doch im Siegfried? « Was andres ist, das lerne nun auch.“

Das ‘Rheingold’ spielt in einem abgelegenen Motel mit Tankstelle und Bar an der Route 66 in Amerika. Es gibt keinen Rhein, dafür einen billigen Swimming-pool. Bühnenbildner Aleksandar Denic hat hier ein fantastisches Setting geschaffen, das typisch für den amerikanischen Film und das Road-Movie ist. Lean und Tarantino lassen grüßen. Was auf den ersten Blick unverständlich ist, erscheint einem aber bald als sehr logisch. Die Mythenwelt des Rings mit seinen Legenden wird hier an einen anderen mythischen, aber reell existierenden Ort, nämlich an die Route 66 verlegt. Und die Figuren scheinen allesamt der Traumfabrik Hollywood, die ja bekanntlich ihre eigenen Legenden fabriziert, zu entstammen. So erinnern beispielsweise Loge an Joe Pesci als Mafioso, Fafner mit seinem aufgemalten schwarzen Bart an Bluto, den Gegenspieler von Popeye, und Froh an Michael Douglas in ‘Die Straßen von San Francisco’; die vollbusigen und tief dekolletierten Damen scheinen dagegen direkt einem Erotikfilm von Russ Meyer zu entspringen. Überhaupt ist ‘Sexploitation’ ein wichtiges Thema dieses ‘Rings’. So erwacht Wotan beispielsweise neben Fricka und Freia und vernascht am Schluss ebenfalls noch Erda, in dem er sie von hinten nimmt.

Rheingold (c) Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Rheingold
(c) Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Castorf bietet in seinem Rheingold (und auch später) aber nie ein festes Konzept, sondern erlaubt es dem Zuschauer, seine eigenen Ideen zu entwickeln. Und hier liegt auch Castorfs Stärke. Er bombardiert in diesem Ring den Zuschauer regelrecht mit oft zweideutigen Informationen, fügt rätselhafte Videoeinspielungen in die Handlung ein und überrascht und schockiert sein Publikum oft durch sehr provokante Bilder und Einfälle. So lässt er im Rheingold seine Personen sehr oft auf engstem Raum, einem Motelschlafzimmer aufeinanderprallen, hier bricht er mit der Tradition, Walhall und Nibelungenheim an verschiedenen Orten spielen zu lassen. Die ganze Rheingold-Geschichte spielt sich in diesem Motel ab. Und dass Alberich mit einer gelben Plastikente spielt hat auch seinen Sinn. Bei Castorf geht es nicht um das Gold in seiner ursprünglichen Form, sondern er zeigt, dass das Gold von heute das Öl ist, das schwarze Gold also. Dieses Öl, das eigentlich nur in der Walküre eine zentrale Rolle spielt, kommt in all seinen Derivaten in diesem Ring vor. Und aus Öl kann man durch Destillation Kunststoff, also Plastik herstellen. Insgesamt gelingt Castorf eine schlüssige Neuinterpretation des Rheingolds, die einerseits konsequent durchgehalten wird, andererseits neue Perspektiven auf Mythos, Gesellschaft und Figuren eröffnet. Aber Castorf wäre nicht Castorf, wenn er in seine Erzählweise nun auch konsequent weiterführen würde. Als Künstler spielt er natürlich mit den Erwartungen des Publikums und bricht seinen eigenen Stil immer wieder aufs Neue, so dass sich plötzlich ganz andere und unerwartete Wege auftun und den Zuschauer, lässt er sich auf Castorfs Provokationen ein, in einen ungemein fesselnde Dramenwelt führen.

Die Walküre (c) Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Die Walküre
(c) Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

War das Rheingold-Motel ein Tummelplatz für Kleinganoven, so ist das in Aserbaidschan angesiedelte Bohrturm-Walhalla der ‘Walküre’ Dreh- und Angelpunkt internationaler Geschäfte und der damit verbundenen Wirtschaftskriminalität. Phänomenal ist das Bühnenbild von Aleksander Denic, das Hütte, Walhall und Bohrturm in einer einzigen gewaltigen Bühnenkonstruktion vereint. Hier geht es um’s Geschäft, persönliche und familiäre Beziehungen sind unwichtig. Nach einem eher traditionellen 1. Akt wird diese Gefühlskälte im 2. und 3. Akt auf eine geradezu erschreckende Weise dargestellt. Besonders in den Monologen Wotans (2. Akt) und Brünnhildes (3. Akt), die ja eigentlich als Dialoge angelegt sind, wird das sehr deutlich herausgearbeitet. Doch der jeweilige Partner hört nicht zu, ist mit Geschäften oder sich selbst beschäftigt. Der Walkürenritt wird als Revolution inszeniert, bei der die Revolutionäre versuchen, den Bohrturm Walhall zu stürmen und dabei sterben. Recht menschlich geht es auch im Schlussgesang zu. Wotan schickt Brünnhilde ins Bett und weil sie Angst vor der Dunkelheit hat, zündet er einen stilisierten Kronleuchter an. Selbst in dieser eher versöhnlichen und zurückhaltenden Inszenierung der ‘Walküre’ kann Castorf nicht anders und muss dem Zuschauer hier am Ende doch noch die Zunge rausstrecken.

Musikalisch waren die beiden ersten Abende einfach atemberaubend. Der eher lyrische Wolfgang Koch begeisterte an beiden Abenden und stellte den sexsüchtigen, aber sonst eher schwachen Gott hervorragend dar. Norbert Ernst brillierte als Loge während Claudia Mahnke als Fricka und Nadine Weissmann als Fricka resp. Erda gesangliche Glanzleistungen vollbrachten. Oleg Byrian sorgte für einen herrlich ordinären und nicht immer präzise singenden Alberich. Burkhard Ulrich überzeugte als Mime, während die beiden Riesen mit Wilhelm Schwinghammer (Fasolt) und Sorib Coliban (Fafner) erstklassig besetzt waren. Elisabeth Strid (Freia) Markus Eiche (Donner), Lothar Odinius (Froh), Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau (Rheintöchter) rundeten das hochkarätige Sängerensemble im ‘Rheingold’ auf höchstem gesanglichen und darstellerischen Niveau ab.

Auch am zweiten Abend war der Jubel in sängerischer Hinsicht garantiert. Das Wälsungenpaar Anja Kampe und Johan Botha (darstellerisch sehr, sehr schwach) rissen das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Catherine Foster als Brünnhilde begann etwas schwach, konnte sich aber dann während der Vorstellung permanent steigern. Kwangchoul Youn (Hagen), Wolfgang Koch (Wotan) und Claudia Mahnke (Fricka) waren in ihren jeweiligen Rollen überragend. Einziger Schwachpunkt der beiden ersten Abende war der Walkrenritt, bei dem die verschiedenen Stimmen überhaupt nicht miteinander harmonierten und etliche Gesangsleistungen regelrecht schwach waren. Auf den unumstrittenen Star dieses ‘Rings’, den russischen Dirigenten Kirill Petrenko kommen wir in einem nächsten Beitrag zu sprechen.                                                              Alain Steffen

 

 

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