Bayreuth, Festspielhaus

Von einem Gesamtkunstwerk spricht man, wenn alle Parameter einer künstlerischen Veranstaltung so ausgenützt werden, dass sie sich optimal gegenseitig ergänzen. Das ist bei der Bayreuther Neuinszenierung des ‘Lohengrin’ der Fall, meint Pizzicato-Mitarbeiter Alain Steffen.

Das deutsche Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy schufen wunderbare Bühnenbilder und Kostüme, die einerseits traumhaften Charakter im wahrsten Sinne des Wortes besitzen, andererseits Stilelemente aus verschiedenen Kunstepochen miteinander verbinden.

Regieeinspringer Yuval Sharon musste sein Konzept also Bühne und Kostüm unterwerfen und schaffte das mit klaren, dezenten und immer nachvollziehbaren Gesten und Beziehungen. Diese Homogenität von Regie und Bühne wirkt sich sehr positiv auf die Sänger aus, die akustisch erstaunlich deutlich herüberkommen, und das, weil sie vom Regisseur bestens in Szene gestellt werden. Der Bühnenzauber, der das Publikum dann ab der ersten Szene fasziniert und von betörender Schönheit und Phantasie ist, überträgt sich auch auf das Bayreuther Festspielorchester und Dirigent Christian Thielemann aus. Selten zuvor hat man die ‘Lohengrin’-Musik so schwebend leicht und transparent, aber auch klangprächtig und akzentreich gehört.

Über die Inszenierung ließe sich unendlich viel schreiben und spekulieren. Hier nur die wichtigsten Ideen. Der Rest – und das ist bei einer Traumdeutung so – soll dem Zuschauer überlassen werden. Sharons ‘Lohengrin’ spielt in einem Grenzbereich zwischen Land und Meer. Die Menschen glauben nicht mehr an sich selbst, sondern werden mit der Energie des Grals am Leben gehalten, dargestellt durch ein riesiges, mit dem Himmel verbundenes Kraftwerkt. Aus diesem Gral kommt bekanntlich Lohengrin, der sich nichts mehr wünscht, als Mensch zu werden. Doch die patriarchalische und hierarchische Welt hat sich selbst verloren, Frauen werden unterdrückt, die Menschen suchen nach einem Heilsbringer, der der König schon lange nicht mehr ist. Lohengrin entpuppt sich als Blender und Macho, der für seine Menschwerdung nicht den Weg der Liebe, sondern den des Patriarchats und der Macht wählt. Elsa, zuerst angeklagt und gebrochen, behauptet sich, in dem sie Lohengrin die verbotene Frage stellt und sich so emanzipiert. Das bis dahin ganz in blau-grau gehaltene Bühnenbild wird, nachdem sich die beiden Frauen Elsa und Ortrud im zweiten Akt begegnen, nach und durch die Farbe Orange ergänzt, die wiederum die Komplementärfarbe von Blau ist und die Emanzipation, die Erlösung und Gewinnung der Freiheit, darstellen soll. Lohengrin reist zurück, nachdem er der orangegekleideten Elsa einen orangenen Rucksack mit Ring, Schwert und Horn für den Bruder umhängt. Elsa muss die Bürde ihrer Emanzipation tragen. Der Bruder tritt zum Schluss als grünes Ampelmännchen ohne Gesicht aber mit einer grünen Pflanze – Hoffnung und Neubeginn – auf. Auch Ortrud überlebt und scheint, wie Elsa, zu erkennen, dass eine neue Zeit anbricht und sie ihr Schicksal wieder selbst in der Hand hält. Natürlich erlauben Sharons Regieeinfälle und die Bühneninstallation von Neo Rauch und Rosa Loy auch andere Deutungsmöglichkeiten.

Sängerisch wurden wir regelrecht verwöhnt. Viele Bayreuther Sänger haben die Rolle des Heerrufers als Springbrett für weitere Bayreuther Verpflichtungen nutzen können. Und wahrscheinlich wird auch der hervorragende Bassbariton Egils Silnis aus Lettland bald in anderen Rollen auf der Festspielbühne zu hören sein. Die starken Buhrufe für Tomasz Konieczny als Telramund, die er wohl wegen seiner knödeligen Aussprache erhielt, waren in meinen Augen nicht berechtigt, da der Sänger eine exemplarische Darstellung des ‘Bösewichts’ gab und stimmlich keine Wünsche offen ließ.

Die vom Publikum hochverehrte Waltraud Meier kehrte nach 18 Jahren Abwesenheit wieder auf den Grünen Hügel zurück und sang eine klug taktierende, niemals hysterisch oder bösartig agierende Ortrud. So faszinierend ihre Gestaltung im 2. Akt auch war, so groß waren die stimmlichen Probleme im Dritten, die sie aber mit viel Professionalität zufriedenstellend lösen konnte.

Anja Harteros’ dramatische Stimme ist eigentlich der Rolle der mädchenhaften Elsa entwachsen, doch in dieser Inszenierung passt diese frauliche Präsenz haargenau. Piotr Beczala, den wir schon bei seinen Lohengrin-Debüt vor zwei Jahren in Dresden gelobt hatten, hat sich die Rolle nun wirklich angeeignet und begeistert mit heldischer Strahlkraft, bei der die Brutalität der hier dargestellten Figur, sehr gut zur Geltung kommt.

Georg Zeppenfeld ist wohl einer der besten Bässe der Gegenwart. Und genauso wurde seine Interpretation von König Heinrich auch vom Bayreuther Publikum gefeiert. Neben der atemberaubenden Gesangsleistung von Anja Harteros war er wohl der makelloseste Sänger dieser Aufführung. Insgesamt ist dieser neue Lohengrin also ein optisches, sängerisches und orchestrales Vergnügen der besonderen Art.

 

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