Vier Aufführungen von Tristan und Isolde, Der Fliegende Holländer, Parsifal und Tannhäuser standen vom 13.-16. August auf dem Programm von Pizzicato-Mitarbeiter Alain Steffen in Bayreuth. Hier seine Eindrücke.
In einer Zeit, wo das Regietheater gerne als das Non plus ultra der Inszenierungskunst angesehen wird, scheint sich nun auch wieder eine Gegenrichtung zu entwickeln, wie wir in diesem Jahr beim Tristan und beim Parsifal erkennen konnten. Regietheater, das wissen wir, bedient sich moderner Bilder und Handlungselemente, wobei sich der Regisseur oft gerne erlaubt, die Geschichte und sogar die Psychologie der Personen zu verändern. Er benutzt somit das ursprüngliche Stück und erzählt nicht mehr die Geschichte des Komponisten, sondern seine eigene. Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert, denn man weiß, dass Wagner genau das gleiche getan hat. Er hat ja keine eigenen Figuren erfunden, sondern er hat sich einfach in der Literatur bedient und die Personen für seine eigenen Zwecke und Ideen benutzt.
Kammermusikalisch feiner Tristan
Roland Schwabs Inszenierung von Tristan und Isolde ist kein Regietheater, vielmehr eine in Bild und Handlung gesetzte Transzendenz, eine sich auflösende Dialektik von Personen, von Handlung, von Raum und Zeit. „In diesem Stück bewegt man sich zunehmend in einen psychologisch uninszenierbaren Bereich hinein, in einen magischen Bereich, der nur noch Klang ist.“ So der Regisseur in einem Interview. Das erlebt dann auch der Zuschauer in einer konsequenten, logischen und immer überzeugenden Regiearbeit, der es auch gelingt, die inneren Welten der Hauptprotagonisten fassbar zu machen. In den einfachen, aber wunderschönen Bühnenbildern von Piero Vinciguerra wird dieser Tristan zu einer regelrechten metaphysischen Erfahrung. Dies, weil die Sänger exzellent sind. Christa Mayer singt eine persönlichkeitsstarke Brangäne. Ihre volle, wunderbar fließende Stimme füllt die Partie in jedem Moment aus. Ihr Pendant, nämlich Tristans Diener und Freund Kurwenal wird von Markus Eiche gesungen, der mit seinem edlen Bariton der Partie eine große Präsenz verleiht. Vor allem, und das fällt in dieser Inszenierung besonders auf, wird sehr viel Wert auf belcantesken Gesang gelegt. Mayer wie Eiche singen ihre Partien im wahrsten Sinne des Wortes und verfallen nie in dramaturgischen Sprechgesang. Auch Georg Zeppenfeld, der Liebling des Bayreuther Publikums, verströmt mit seinem warmen Bass allerschönsten Gesang. Seine große Klage im 2. Akt ist ein absoluter Höhepunkt an kultiviertem Wagner-Gesang. Die beiden Titelpartien werden von Clay Hilley und Catherine Foster gesungen. Hilley, der ja relativ kurzfristig für den erkrankten Stephen Gould eingesprungen war, überrascht durch einen stilvollen, ja an feinsten Mozart-Gesang erinnernden Vortrag. Selten habe ich das Liebesduett im 2. Akt so schön gehört wie an diesem Abend. Hilley singt jede Linie aus, nimmt sich Zeit zum Atmen und phrasieren. Im letzten Akt geht das leider nicht immer auf, und man muss einige Wackler in Kauf nehmen. Es ist aber dem Tenor hoch anzurechnen, dass er sich nicht durch diesen mörderischen Akt mogelt, sondern seiner Gesangslinie treu bleibt. Auch Catherine Foster kann als Isolde überzeugen. Ihre Präsenz im 1. Akt ist schon außergewöhnlich und auch im 2. Akt vermag sie das Liebesduett mit größter Schönheit zu gestalten.
Am Pult des exzellenten Bayreuther Orchesters steht Markus Poschner, der sich jetzt im zweiten Jahr den Tristan wirklich zu Eigen gemacht hat. Helle Farben, wunderbar herausgearbeitete Mittelstimmen, gefühlt langsame Tempi, ein Dirigat, das atmet und pulsiert und dabei sehr sängerfreundlich ist, all dies versprüht einen einzigartigen kammermusikalischen Charakter, der den intimen Welten von Wagners kaum greifbarer Musik in jedem Moment gerecht wird.
TV-Krimi im Lokalkolorit
Mit Dmitri Tcherniakovs Inszenierung der Fliegenden Holländers im Sinne eines TV-Krimis in Lokalkolorit kommen wir nun zum Regietheater. Tcherniakovs Arbeit ist aber an sich überzeugend: Auch wenn er die Figuren und vor allem die Geschichte verändert, so bleiben die psychologischen Vorgänge und Handlungen stets erklär- und nachvollziehbar. Es ist eben die moderne Deutung eines Mythos und Tcherniakovs sicher diskutable Inszenierung muss man als einheitlich und gelungen ansehen, auch dann, wenn man seine Idee nicht unbedingt selbst vertritt. Äußerst spielfreudig agieren die Protagonisten auf der Bühne und singen dazu noch exzellent. Attilo Glaser ist als Steuermann schon fast eine Luxusbesetzung; ausgestattet mit einer ebenso kraftvollen wie lyrischen Stimme wächst ohne Zweifel ein künftiger Meistersinger-David heran. Nadine Weissmann singt die kurze Partie der Mary korrekt, ohne allerdings nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Tomislav Muzek gibt einen heldentenoralen Erik, kein Weichei, wie oft erlebt, sondern einen starken aber unglücklichen Liebenden. Georg Zeppenfeld ist als Daland hören. Und auch hier kann man sich nur wiederholen: Besser geht’s nicht. Shoooting Star Elisabeth Teige ist eine absolut atemberaubende Senta, sowohl darstellerisch wie auch gesanglich, der es gelingt, den aufmüpfigen Teeniecharakter sehr glaubhaft darzustellen und das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinzureißen. Michael Volle ist als Holländer wieder einmal ein Hochgenuss und seine intensive Darstellung und sein makelloser, faszinierender Vortrag ernteten den einhelligen Jubel seitens des Publikums. Überhaupt, es war wieder schön, ein Publikum vor Begeisterung tosen zu sehen.
Ebenfalls bejubelt, Oksana Lyniv, die mit ihrem Dirigat die Orchesterwogen hochpeitschte und Tcherniakovs Thriller die nötige Klangpräsenz verlieh. Aber nicht nur, neben dem spektakulären, wilden Naturgewalten wusste Lyniv auch die zarten, introvertierten und emotionalen Momente glasklar herauszuarbeiten und dabei, wie im Duett Holländer-Senta, die Sänger auf Händen zu tragen. Insgesamt ein ganz großer Opernabend!
Die Welt am Rande des Abgrunds
Mit Jay Scheibs Neuinszenierung des Parsifal hat Bayreuth einen Weg gefunden, hochmoderne Aspekte des Musiktheaters wie eben die Augmented Reality, die 300 Personen im Publikum durch spezielle Brillen erleben konnten, mit einem durchaus klassischen Inszenierungsstil in Einklang zu bringen. In der Tat, Scheibs Parsifal kann sich sehen und hören lassen.
In den starken Bühnenbildern von Mimi Lien, die eine kaputte Welt und eine von Menschenhand zerstörte Natur zeigen, erzählt Schein eine Geschichte einer Gemeinschaft, die sich abgeschottet hat, um einem modernen, kobaltblauen Kristall zu huldigen, der Sinnbild die Ausbeutung der Erde ist. Am Schluss zerstört Parsifal, stehend in einen grünen, verseuchten See und neben einem Kobaltbagger, diesen falschen Gral und zeigt der Gemeinschaft, dass es noch nicht zu spät ist, Verantwortung für eine positive Veränderung zu nehmen.
Trotz allem ist Scheibs Parsifal kein Öko-Thriller; der amerikanische Regisseur erzählt die Geschichte so klar und konventionell wie einst Wolfgang Wagner. Aber! Es passt alles, und ist trotz der sparsamen Gestik durchaus spannend erzählt und gibt dem Zuschauer genug Raum, um sich in diese trostlose Welt hineinzufühlen. Ich hatte keine AR-Brille und habe sie auch nicht vermisst, denn Scheibs Inszenierung funktioniert auch sehr gut ohne 3D-Effekte. Musikalisch wurde das Publikum regelrecht verwöhnt.
An allererster Stelle muss hier das Dirigat von Bayreuth-Debütant Pablo Heros-Casado genannt werden. Der spanische Dirigent lotet die Akustik des Festspielhauses maximal aus, was ja nicht jedem Dirigenten auf Anhieb gelingt. Die Musik wirkt so einerseits sehr plastisch, andererseits hält Heros-Casado sie in einem permanenten Schwebezustand. Gefühlt ist dieser Parsifal sehr langsam dirigiert, doch ein Blick auf die Uhr zeigt, dass Casado den 1. Akt knapp 100 Minuten braucht, also etwas langsamer als Boulez mit seinen legendären 95 Minuten. Der schnellste Bayreuther- Parsifal wurde dann auch mit 3:38 von Boulez dirigiert, der längste mit 4:48 von Arturo Toscanini. Heros-Casado braucht insgesamt 4:00 Stunden. Insbesondere in den Monologen hält Pablo Heros-Casado dann inne, nimmt Tempo und Lautstärke zurück und lässt quasi die Sänger führen. Wunderbar! Und diese fühlen sich hörbar wohl. Ekatarina Gubanova debütierte als Kundry. Sie macht das hervorragend, bleibt allerdings im Duett des 2. Aktes noch etwas vorsichtig. Trotzdem eine mehr als zufriedenstellende Leistung, zudem die Sängerin sich psychologisch sehr gut in die Rolle einfühlen kann und auch stimmlich kaum Grenzen kennt. Dazu trägt eine sehr gute Phrasierung zum positiven Einstand bei.
Nach Marke und Daland nun Gurnemanz. Ohne Anzeichen von Ermüdungserscheinungen und mit gewohnter makelloser Präsenz und Diktion, sowie seiner wunderschönen Bassstimme begeistert wiederum Georg Zeppenfeld, auf dessen Hans Sachs wir uns in zwei Jahren hier freuen können. Nachdem der vorgesehene Tenor Joseph Calleja die Partie des Parsifal zurückgegeben hatte, sprang kurzerhand Alleskönner Andreas Schager ein und riss mit seiner intensiven und stimmprächtigen Darbietung das Publikum von den Sitzen. Derek Welton sang mit prächtiger Stimme einen lyrischen und stilvollen Amfortas, der sich nicht hinter Sprechgesang zu verstecken brauchte. Demnach eine sehr gelungene Neuinszenierung des Parsifal mit einem genialen Dirigenten und einer Topbesetzung.
Klaus Florian Vogts Bayreuther Tannhäuser-Debüt
Gespannt war man auch auf das Debüt von Nathalie Stutzmann, die die Leitung von Tobias Kratzers Kult-Tannhäuser übernommen hatte. Das Publikum erlebte ein sehr dynamisches, hoch expressives und wunderbar ausgeglichenes Dirigat, das sowohl bei den Massen- und Chorszenen wie auch bei den Arien und Duetten immer die Oberhand behielt. Die Dirigentin vermochte es gekonnt, interpretatorische Präsenz mit einer feinsinniigen Sängerbegleitung zu einem spannenden Ganzen zu verbinden. Klaus Florian Vogt glänzte in der Titelrolle und zeigte allen, wie lyrisch schön und vor allem unangestrengt man diese Partie doch singen kann. Insbesondere wenn man weiß, dass viele Wagner-Tenöre wegen der hohen Tessitura einen Bogen darum machen. Bei Vogt klang Tannhäuser so schlank und fein wie eine Mozart-Figur. Ihm zur Seite zwei tolle Frauen: Elisabeth Teige als wunderschön aussingende und intensiv spielende Elisabeth und Ekatarina Gubanova als Venus. Diese Venus entspricht so gar nicht dem Klischee der schreienden Lustgöttin, sondern gewinnt durch die zurückhaltende und nüancierte Gestaltung Gubanovas an Tiefe und Glaubwürdigkeit. Markus Eiche war ein wohlklingender Wolfram, während alle übrigen Rollen ebenfalls erstklassig besetzt waren. Herausheben muss man allerdings Julia Grüter als junger Hirt und den südafrikanischen Tenor Siyabonga Maqungo als Walther von der Vogelweide. Die beiden, von Tobias Kratzer hinzuerfundenen stummen Figuren Oskar, dargestellt von dem kleinwüchsigen Schauspieler Manni Laudenbach, und Le Gateau Chocolat as himself gehören inzwischen zu den besonderen Lieblingen des Publikums. Die Qualität des Chores zu loben, das hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Der Bayreuther Festspielchor unter der langjährigen Leitung von Eberhard Friedrich ist eine Institution und sang wie immer auf Weltklasseniveau. Ob jetzt bei Tannhäuser, Parsifal oder dem Fliegenden Holländer. Fazit: Die musikalische Qualität in Bayreuth scheint endlich wieder die Oberhand zu gewinnen und für wirklich erstklassige Aufführungen zu garantieren.