Nach einem hoch dramatischen, sängerisch aber wenig zufriedenstellenden ‘Fidelio’ unter der zupackenden Leitung von Jacek Kaspszyk und der ICMA Gala, über die gesondert berichtet wurde, bleiben mir vom diesjährigen Warschauer Beethoven Festival noch zwei Konzerte, über die ich schreiben muss. In mancher Hinsicht enttäuschend war der Auftritt des jungen Kanadiers Yannick Nézet-Séguin, der das ‘Rotterdam Philharmonic Orchestra’ zunächst in forscher Art durch Ludwig van Beethovens Violinkonzert führte.Wenn man den historischen Kontext betrachtet, die Zeitgleichheit mit der 4. Symphonie und die für Beethoven relativ positive Stimmung in der Entstehungszeit, war diese Interpretation, in der Lisa Batiashvili die von Pauken begleitete Schnittke-Kadenzen spielte, falsch. Ohne diese Betrachtung hätte man der Aufführung zustimmen können, wenn denn Lisa Batiashvili zumindest neben der unbestreitbaren Klangschönheit ihres Spiels etwas mehr wirkliches Engagement gezeigt und technisch etwas sauberer gespielt hätte.
Die Enttäuschung aber kam vor allem durch die Vergewaltigung von Piotr Tchaikovskys Sechster Symphonie, der ‘Pathétique’, die hier missbraucht wurde, um die Brillanz und die Schlagkraft des Orchesters aus Rotterdam zu unterstreichen. Tchaikovsky wurde dem Publikum sonor zum Fraß vorgeworden, und es gab in dieser Interpretation Nézet-Séguins keine fünf Sekunden musikalischer Wahrheit. Wäre ich nicht Remy Franck, sondern ein mit brillanter Klanglichkeit zu begeisternder Herr X aus dem Publikum, hätte ich auch über die beeindruckende instrumentale Power schwärmen können. Doch leider konnte ich mit diesem aufgedonnerten Stück so nichts mehr anfangen. Nézet-Séguin hat nicht verstanden, dass ‘aufgewühlt’ nicht mit ‘aufgeregt’ gleichzusetzen ist, dass mit Oberflächlichkeit keine inneren Brüche und im letzten Satz mit Kunstpausen keine Seelentiefe erreicht werden können.
Da war doch das Konzert mit dem ‘Royal Philharmonic’ unter dem ICMA-‘Liftetime Achievement Award’-Preisträger Charles Dutoit etwas anderes. Nach einer in allen Hinsichten guten Interpretation der Beethoven-Ouvertüre ‘Die Geschöpfe des Prometheus, war Arabella Steinbacher die Solisten in Sergei Prokofiev Violinkonzert Nr. 2. Im ersten Satz konnten sie und Dutoit die doch sehr unterschiedlichen Stimmungen zu einem Ganzen fügen, und die grellen und perkussiveren Teile ergänzten die sensuellen Passagen in idealer Weise. Der zweite, süß duftende Satz war von französischer Eleganz, und der dritte zog den Hörer voll in den Volksfestcharakter, der so deutlich herausgearbeitet wurde, wie man das sonst selten hört.
Das letzte Werk war die Dritte Symphonie, die Orgel-Symphonie von Camille Saint-Saëns. Der erste Satz erlangte durch Dutoits wunderbar kontrollierte Steigerungen einen hoch dramatischen, klangopulenten und streichersatten Charakter. Das Adagio wurden ebenso gefühl- wie spannungsvoll ausgekostet, während das Scherzo kraftvoll, energisch akzentuiert und in fast ekstatischem Drive dem grandios gestalteten Finale zustrebte. Eine in allen Hinsichten perfekte Darbietung, an die man sich lange beglückt erinnern wird. Das begeisterte Publikum verlangte vom ‘Royal Philharmonic’ und Dutoit nicht weniger als zwei Zugaben. Zunächst erklang eine rhythmisch sehr speziell gestaltete ‘Valse Triste’ von Jean Sibelius, und danach, hymnisch und feierlich, ‘Nimrod’ aus Edward Elgars ‘Enigma Variations’, das den großartigen Abend wunderbar ausklingen ließ.