Unter der Überschrift ‘Beethoven, der große Inspirator’ ging am vergangenen Wochenende in Warschau das 24. Beethoven-Festival zu Ende. Mit 12 Konzerten in 13 Tagen konnte die Reihe vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie zwar nicht mit dem gewohnten Veranstaltungsumfang reüssieren, wusste allerdings mit einem originären programmatischen Tableau künstlerische Höhepunkte zu setzen. Traditionell findet das Festival während der beiden letzten Vor-Oster-Wochen statt. Wegen des Lockdowns im Frühling mussten die Konzerte verschoben und konnten nur unter Einschränkungen realisiert werden. ICMA-Jury-Member Martin Hoffmeister reist seit über zwei Jahrzehnten zum Festival. In diesem Jahr verfolgte er die Reihe via Radio und Video-Streaming und schildert für Pizzicato seine Eindrücke.
Herr Hoffmeister, zahllose europäische Festivals mussten ihre Konzerte vor dem Hintergrund der Pandemie in diesem Jahr ersatzlos streichen, andere gingen mit geänderten und/oder gekürzten Reihen an den Start, wenige darüber hinaus kreierten digitale Angebote. Wie agierte das Team um Direktorin Elzbieta Penderecka, um das Festival 2020 zu retten?
Tatsächlich konnte im Frühjahr des Jahres niemand genau wissen, wie sich die Corona-Situation entwickeln würde über die Monate. Da haben alle Beteiligten mit der neuen Terminierung Glück gehabt. Bereits im November hätten die Konzerte in dieser Form wohl nicht mehr stattfinden können. Selbst das jetzt beendete Festival stand deutlich im Zeichen diverser Einschränkungen. Im großen Saal der Philharmonie lag das Limit bei 250, im Kammermusiksaal bei 70 Besuchern. Auch auf der Bühne herrschten lichte Verhältnisse, denn nur bis zu 47 Orchestermusiker waren zugelassen…
...was natürlich Konsequenzen für das Konzerte-Repertoire und die Künstler-Tableaus haben musste…
Richtig, aber in diesem Zusammenhang wurde von Beginn an weitsichtig geplant, die Werk-Auswahl wurde entsprechend angepasst und indem fast ausschließlich polnische Solisten, Ensembles, Dirigenten und Orchester verpflichtet wurden, blieben gewisse Risiken überschaubar. Synergien ergaben sich zudem aus der Integration des – ebenfalls von der Beethoven-Association verantworteten – Kammermusikfestivals in die Beethovenreihe. So wurde im Zeichen des Ausnahmezustands am Ende ein Konzertreigen entwickelt, der mit starken Alleinstellungsmerkmalen punkten konnte: Zum einen partizipierte das Publikum an einer bemerkenswerten Leistungsschau der Protagonisten der nationalen Klassikszene, zum anderen konnten die Besucher eintauchen in die solitären, immer noch selten aufgeführten Werke des deutsch-polnischen Komponisten und Chopin-Vertrauten Joseph Elsner.
Die Festival-Ausgabe 2020 vor dem Hintergrund der Pandemie also eine rein polnische Angelegenheit. Das ist nachvollziehbar und sinnstiftend in der gegebenen Situation. Für eine traditionell international aufgestellte Reihe mit Besuchern aus aller Welt wird man langfristig wieder zu anderen Lösungen finden müssen…
Selbst wenn das Konzept für ein, zwei Jahre tragen sollte, wird man über die Jahre nicht auf die Rückkehr zum großen, übernationalen Ganzen verzichten können, um den Platz zu halten im Kreis der renommierten europäischen Reihen. In diesem Zusammenhang sind dann auch entsprechende politische Signale gefordert, denn ein Festival dieser Dimension bedarf in jedem Fall staatlicher respektive kommunaler Subvention.
Das Motto des Festivals ‘Beethoven, der große Inspirator’ lässt bereits Rückschlüsse auf die Programmatik zu. Wo lagen die inhaltlichen Schwerpunkte der 24. Festival-Ausgabe?
Fraglos eröffnet diese Überschrift ein breites Spektrum programmatischer Möglichkeiten. In diesem Fall fokussierte man auf naheliegende Lösungen und stellte ausgesuchten Kompositionen des Namensgebers Werke von Schubert, Schumann, Mendelssohn, Brahms und Liszt gegenüber. So blieben die Korrespondenzen zwischen den heterogenen Klangtableaus für das Publikum unmittelbar nachvollziehbar.
Von besonderem Interesse erwies sich darüber hinaus in mehreren Konzerten das Gegenüber von Beethovens und Pendereckis Musik. Denn der Ende März des Jahres gestorbene polnische Komponist hatte Beethovens Werk mehrfach zu einer seiner wichtigsten kompositorischen Referenzen erklärt.
Die ins Beethoven-Festival integrierte Kammermusikreihe rückte 2020 das Werk des Komponisten Joseph Elsners in den Mittelpunkt. Eher dramaturgische Volte oder sinnfällige Entscheidung ?
Beides, denn erstens wird die Musik dieser vielgesichtigen Musikerpersönlichkeit noch immer zu wenig gewürdigt, zum anderen vermag das Publikum auf diese Weise auch das musikalische Umfeld des Überkomponisten Chopin wahrzunehmen. In diesem Zusammenhang gleich mit zu entdecken galt es im Übrigen auch andere bedeutende polnische Meister wie Nowakowski, Dobrzynski, Krogulski und einige mehr.
Das Festival präsentierte fast ausschließlich polnische Solisten, Dirigenten, Ensembles und Orchester. Wie haben Sie diese Fokussierung wahrgenommen?
Willkommen war zunächst die Tatsache, dass sich das Publikum ein (fast) komplettes Bild von den renommiertesten polnischen Ensembles machen konnte. Denn wo sonst geben sich in weniger als zwei Wochen die Warschauer Philharmoniker, die Philharmoniker aus Poznan, das Polnische Radio Sinfonieorchester, die Sinfonia Varsovia, die Sinfonietta Cracovia und die Sinfonia Iuventus die Klinke in die Hand, dirigiert zumal von führenden polnischen Maestros wie Jerzy Maksymiuk, Lukasz Borowicz, Jurek Dybal, David Runtz oder Maciej Tworek. Mit Szymon Nehring und Lukasz Krupinski stellten sich überdies zwei der herausragenden Nachwuchspianisten des Landes vor. Insofern vermittelte die Festival-Ausgabe 2020 einen konsistenten und nachhaltigen Überblick über die polnische Szene. Ob solche Fokussierung allerdings, wenn intendiert, über mehrere Jahre trägt, darf bezweifelt werden.
Einige Festival-Höhepunkte hatten Sie bereits angesprochen. Kommen wir am Ende zum Thema Oper. Aufführungen von selten oder niemals zuvor gespielten Werken der Gattung sind seit Jahren fester Bestandteil der Reihe. In diesem Jahr brachte man Luigi Cherubinis Komische Oper in 3 Akten Faniska auf die Bretter der National-Philharmonie…
Ein eminentes Werk tatsächlich, allerdings mit sehr wechselhafter Geschichte. 1806 in Wien uraufgeführt und von Beethoven und Haydn gefeiert, geriet die Oper später komplett in Vergessenheit.
Was aus heutiger Sicht eher unverständlich ist, denn die Tableaus sind außerordentlich effektvoll, die Anlage suggestiv gearbeitet. Vor diesem Hintergrund waren die Erwartungen an die leicht gekürzte, konzertante Aufführung in Warschau entsprechend hoch. Was die Mitwirkenden befeuert haben muss, denn sowohl die ungemein homogen agierenden Vokalsolisten, hervorzuheben insbesondere Sopranistin Natalia Rubis, Tenor Krystian Krzeszowiak und Bass Tomasz Rak, als auch Philharmoniker und Kammerchor aus Poznan unter Lukasz Borowicz wussten die Stärken der Partitur schattiert und mit Verve nachzuzeichnen. Eine weitere Opern-Preziose wurde damit vor dem Vergessen bewahrt.
Weitere Informationen unter: www.Beethoven.org.pl