Zunächst fragt man sich, wie Harke de Roos bei dem doch zügigen Dirigieren der ersten paar Minuten des ersten Satzes der Zweiten Symphonie Ludwig van Beethovens auf die sechsundvierzigeinhalb Minuten kommen soll, die auf dem Back-Cover angekündigt sind und uns neugierig machten. Doch bald schon ist es vorbei mit Zügigkeit, der Dirigent zieht die Bremse, und das nicht nur ein klein wenig. Was ist also hier los?
De Roos hat herausgefunden, dass Beethovens Metronomangaben bestenfalls zu 15 % korrekt sind und alle anderen auf Irrtümern basieren. Im Textheft erklärt Harke de Roos ausführlich, wie er zu den seltsam anmutenden Tempi gekommen ist, die wir hier hören und die in der nicht enden wollenden Diskussion um Tempoangaben bei Beethoven sicherlich bald von einem oder mehreren anderen Musikwissenschaftlern widerlegt werden. Das sei Aufgabe der Musikwissenschaft. Uns interessiere hier der Höreindruck.
Wie kann man also eine Symphonie, die meistens etwa in 30 Minuten gespielt wird, manchmal sogar noch schneller, so langsam dirigieren? Nun, de Roos ist quasi in allen Sätzen ca. 50 % langsamer als Karajan, Gardiner, Chailly, Norrington, E. Kleiber etc. etc. Erstaunlicherweise wird die Musik dadurch nicht schwerfällig und schwergewichtig, sie behält sogar in dieser Langsamkeit einen gewissen Schwung, wie ein langsam sich bewegender Pendel. Und einige Klangfiguren werden in einer Weise verdeutlicht, wie man sie sonst nicht hört. Beethovens Musik bekommt auch hier eine seltene Gutmütigkeit, sie wirkt direkt beschaulich. Sie merken es: das Extrem ist so extrem, dass es mich nicht einmal in kategorische Ablehnung versetzt. Ich habe mir die CD bestimmt zehn Mal angehört, um herauszufinden, ob die Musik mich, so gespielt, irgendwann nerven würde, so wie es im anderen Extrem die atemlos verhetzte Chailly-Aufnahme machte. Aber nein, ich konnte mich bei jedem Mal dazu entscheiden, diese Alternative zu akzeptieren und als interessant anzusehen, interessant und in gewisser Weise auch humorvoll, ganz besonders im dritten Satz, der mich immer wieder zum Schmunzeln brachte. Ob es nicht eher doch ein Scherzo Allegro sein sollte? Tja, das muss nun jeder für sich entscheiden. Harke de Roos wird von vielen Musikfreunden heftigst kritisiert werden, das steht außer Zweifel. Ob diese Musik vom Temperament her noch überhaupt Beethoven ist, so wie wir ihn uns vorstellen? Diese Frage würde ich schon eher zu Ungunsten des Niederländers beantworten. Und dass ich die Tempi des letzten Endes dann doch etwas stur finde, und ein wenig Rubato der Symphonie insgesamt gut getan hätte, ist mir auch klar. Aber ist diese Interpretation wirklich Humbug, wie ein Freund sagte, dem ich sie zu hören gab? Ich bin mir da nicht so sicher. Es gibt auch Filmaufnahmen, die erst im Zeitlupentempo richtig schön werden…. « Gerade Du », sagte mein Freund, « gerade Du, der so oft bei solchen irrsinnigen Experimenten knallharte Negativurteile fällst… »…Tja, ist es die Gutmütigkeit der Musik, die mich hier so gutmütig reagieren lässt? Nein, da ist mehr. Sie hat etwas, die Zweite Roos-Beethoven. Sie hat etwas, glauben Sie es mir. Und ich würde sogar liebend gerne auch andere Beethoven-Symphonien mit diesem Dirigenten hören…
Beethoven au ralenti: Harke de Roos fait une révision drastique des tempos chez Beethoven et met une quinzaine de minutes de plus que la plupart des chefs, dont les Deuxièmes symphonies tournent autour des 30 minutes. Alors? Une expérimentation inutile? Carrément une connerie? Non! Elle a quelque-chose, cette Deuxième symphonie, et en tant qu’alternative, avec sa bonhomie et son humour, elle ne me déplait finalement pas du tout.
Beethoven in slow motion. Harke de Roos takes over 46 minutes for a symphony generally played in some 30 minutes or so. Is this an unnecessary experiment, is it pure nonsense? I am not so sure about hat. This performance has something special. It’s an alternative which I finally like for its good-naturedness and for its humor.