Wenn ich mit Leuten rede, die klassische Musik mögen und hören, stelle ich immer wieder fest, dass sie von dem, was in Amerika komponiert wird, nicht viel kennen. Copland, Carter, Cage, Corigliano, die Tai Murray auf ihrer CD unter dem Begriff ’20th Century – American Scene’ vereinigt, sind vielleicht auch noch vom Namen her bekannt, aber ihre Musik ist es nicht. Das mag daran liegen, dass sich europäische Komponisten abgeschottet haben und die Welt seit den Fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts glauben lassen, nur europäische Avantgarde könne als zeitgenössische Musik gelten, und Darmstadt, Donaueschingen sowie IRCAM seien der Nabel der Welt. Sie tun das mit einer Überheblichkeit, dass jeder, der sich für andere Richtungen interessiert, sich als töricht und geschmacklos vorkommen muss. Sei’s drum!
Tai Murray setzt sich voll ein für die Musik ihrer Landsleute, und das gelingt ihr umso überzeugender, als sie technisch so souverän ist, als seien ihr die Stücke von Copland & Co in die Wiege gelegt worden. Sie kann sich, technisch also völlig frei dem Ausdruckspotenzial der Musik widmen. Sie entdeckt so eine ganze andere Klangwelt in Elliott Carters ‘Four Lauds’ (Statement-Remembering Aaron, Riconoscenza per Goffredo Petrassi, Rhapsodic Musings, Fantasy-Remembering Roger) als Thomas Zehetmair in seiner ECM-Aufnahme. Murray spielt sensueller, mit mehr Seele. Und das nicht nur in diesen Solostücken, sondern gleich zu Beginn der CD auch in Coplands eher zartbesaiteter Violinsonate. Mit ihrer feinfühligen Interpretation straft sie den Kritiker der ‘New York Times’ Lügen, der bei der Uraufführung dieser Sonate im Jahre 1944 geschrieben hatte, es sei « poor and characterless music ». Die tänzerische Leichtigkeit des Allegretto giusto ist absolut faszinierend.
Genau wie in den Carter-Stücken hat man in John Cages ‘Six melodies for Violin and Keyboard’ nie den Eindruck von purer Technizität.
Den ersten Satz von John Coriglianos Sonate spielt Tai Murray nicht ganz so trunken wie Joshua Bell, aber vielleicht ist auch nur das Klavier etwas zu dominant, genau wie im Andantino, das nirgends wirklich abhebt, was bei Bell durchaus der Fall ist. Im Lento jedoch kommt es zu einem wirklich inspirierten und bewegenden gemeinsamen Musizieren von Tai Murray und dem britischen Pianisten Ashley Wass. Das Finale beendet das Programm verspielt und virtuos.
Remaining far from any academic or purely analytic reading, Tai Murray uses much of her heart to deliver a convincing plea in favor of modern American music.