Schon die zu Hunderten oder mehr die Bühne wie eine Grotte einengenden Kruzifixe, die im spärlich beleuchteten Eingangsbild zunächst nur als eine Struktur wahrzunehmen sind, haben eher etwas Bedrückendes an sich und bieten keine Geborgenheit. So ist denn auch diese ‘Norma’ natürlich nicht nur eine Dreiecksgeschichte zwischen der titelgebenden Priesterin und Anführerin, ihrem ehemaligen Lebensgefährten und Vater der beiden Kinder und ihrer besten Freundin, nunmehr Geliebte ihres Ex. Sie ist auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie Norma ihre Rolle als persönliche Existenz mit den privaten Fragen und Problemen in der von der Religion vorgezeichneten Moralwelt, gegen die sie selber mit ihrer Beziehung verstoßen hat, findet. Wie bekannt, endet es mit ihrem Tod und dem des ehemaligen Partners. Dieser gesellschaftlichen Frage und ihrem Bezug zu heute mit aktuellen Entwicklungen wie Nationalismus und Hass geht auch die Regie von Alex Ollé aus dem Kollektiv ‘La Fura dels Baus’ nach. So kleidet er die Mitglieder der Religionsgemeinschaft in mit kreuzförmigen Strukturen gezeichnete Umhänge, die Anmutungen von Ku-Klux-Klan und Kreuzrittern bis zu politischen Erscheinungen jüngerer Zeit zulassen.
Wenn auch der Einstieg im Orchester kleinste Stolperer bietet, wie sie früher Autos beim Kaltstart mit Choke haben konnten, so animiert Antonio Pappano sein Orchester in kürzester Zeit zu einem glanzvollen Ensemble, das die sich bietenden Ausbrüche mit kraftvollem und energischem Orchesterklang genussvoll auskostet, aber durchgehend darauf achtet, den Sängern einen Boden zu bieten und keine Masse, in der sie untergehen. Sicherlich nicht hinderlich an dieser Stelle ist die italienische Komponente, die Pappano dem Ensemble einhaucht. Der Chor kämpft anfangs ebenfalls mit kleinen Ungenauigkeiten, kann dann aber seine Qualitäten mit sowohl rhythmisch klarer Struktur als auch sanglicher Einheit aufzeigen. Auf dieser sicheren Basis kann sich dann das Sängerensemble dem Rausch dieser Bel Canto Oper feinster Prägung sangesfreudig hingeben.
Der Anfang kommt dem Bassisten Brindley Sherratt zu, der die Rolle des prinzipientreuen Priesters, der aber auch die aufgewühlten Massen bändigen muss, mit seiner durch Stimme und gemessene Bewegungen ausgestrahlten Souveränität meistert.
In der Titelrolle gelingt es Sonya Yoncheva, diese anspruchsvolle Partie bis zum Ende mit Bravour und Leichtigkeit stimmlich zu beherrschen. Dazu kommt ihre Bühnenpräsenz und auch stimmige und überzeugende Leistung als Akteurin, da sie leidende Mutter, führende Priesterin und auch einfach eine Frau sein muss. Zugute kommt ihr die Erfahrung aus ihrer barocken Zeit bei William Christie, die sie nunmehr erfolgreich um das Belcanto-Fach erweitert.
Eine weitere Hauptrolle wurde Joseph Calleja anvertraut, der als Herrscher der fremden Macht über die Glaubensgemeinschaft und als aktueller und ehemaliger Liebhaber ebenfalls Rollen verschiedenster Prägung gestalten muss. Er gibt auch in Liebesdingen nicht den strahlenden Helden. Er überzeugt mit Präsenz und Zuverlässigkeit in Aktion und Stimme. Seine neue Begleiterin wird von Sonia Ganassi mit erkennbarer, aber nicht unterwürfiger Zuneigung gezeigt, die aber auch die Balance zu ihrer besten Freundin Norma hält, sobald ihr bewusst wird, dass sie den gleichen Mann liebt. Ihre Präsenz verleiht ihr im Ensemble eine gewichtige Position.
Die weiteren Protagonisten David Junghoon Kim als Freund Flavio und Vlada Borovko als Zofe Clotilde runden das starke Sängerensemble ab.