Wenn ein amerikanisches Independent-Label eine Aufnahme von Wagners Tristan und Isolde auf den Markt bringt, dann versursacht das zunächst einmal ein Anheben der Augenbrauen als Zeichen der Skepsis. Eine Oper, die kaum ein Opernhaus noch zufriedenstellend besetzen kann, mit einem Orchester, das kaum Wagner-Erfahrung hat, einer zierlichen Koreanerin als Isolde und einem amerikanischen Tristan, der die Rolle 2018 erstmals gesungen hat? Aber es braucht nicht lange, wenn man dann die Aufnahme startet, bis sich Skepsis in Erstaunen wandelt, und das umso mehr, als es sich um eine Liveeinspielung handelt.
Die Integrität und packende Kraft dieses Tristans kann man nicht leugnen. Klar, das Niveau der absoluten Referenzaufnahmen der Oper erreicht diese Einspielung, die im Penderecki-Zentrum in Luslawice entstand, nicht, aber sie ist zweifellos zu den sehr guten Aufnahmen der Wagner-Oper zu zählen (Angeführt wird das Spitzenfeld des Angebots m.E. von Karajan-Vickers-Dernesch, Böhm-Windgassen-Nilsson, Furtwängler-Suthaus-Flagstad und Karajan-Vinay-Mödl).
Von diesem großartigen Erfolg kann sich zweifellos der Dirigent Robert Reimer einen größeren Teil abzweigen. Dank seines suggestiven Dirigierens gibt es dreieinhalb Stunden lang erlebte und gelebte Musik, kraftvoll vereinnahmend auch im leisesten Piano. Mit einer guten dynamischen Kontrolle, vielen Nuancen in den Farben und einer exzellenten Balance erreicht der Dirigent ein Maximum an Wirkung, zeigt aber auch, wie sehr er das Orchester beeinflussen kann, wie stark mithin die Kraft seiner Ausstrahlung auf die Musiker ist.
Die Janacek Philharmonie antwortet mit einem sehr engagierten, farbigen, bestens ausgewogenen und die ganze Oper hindurch aufmerksam intensiven Musizieren.Das ist schon eine gute Basis für eine atmosphärisch dichte, tief durchgeatmete und packende Aufnahme.
Der amerikanische Tenor Roy Cornelius Smith ist ein sehr souveräner Tristan, der stimmlich so sicher und unangestrengt singt, dass er sich voll auf die Gestaltung der Rolle konzentrieren kann. Er liebt leidenschaftlich und stirbt fieberhaft, emotional zutiefst involviert. Seine kräftige, warme Stimme bleibt immer klangschön mit sicheren und außergewöhnlich leuchtenden Spitzentönen
Juyeon Songs Isolde ist nicht weniger gut: Ihre Stimme mag etwas eng sein und vom Timbre her gewöhnungsbedürftig, aber sie ist eine hochdramatische Sängerin, die völlig in ihrer Rolle aufgeht und eine starke, eine leidenschaftliche Isolde singt. Man wundert sich wirklich, wo diese zierliche Sängerin die Kraft hernimmt, um die anfordernde Rolle mit so großer stimmlicher Kraft und sehr ausdrucksstark zu singen.
Tamaro Gallo ist eine großartige, darstellerisch beeindruckende Brangäne, John Paul Huckle ein guter Marke, Brian Davis ein zuverlässiger Kurwenal.
Die Nebenrollen werden nicht weniger gut bewältigt, die Chöre sind tadellos, und so haben wir es hier, wie schon gesagt, mit einer ganz hervorragenden, auch klangtechnischen guten Aufnahme zu tun, in der neben den Sängern auch das Orchester singt.