Das Requiem von Hector Berlioz ist eine der zerklüftetsten Kompositionen der gesamten Literatur. Gewaltigste Klangballungen stehen zartesten Kammermusikpassagen gegenüber. Das unter einen Hut zu bringen, haben schon viele Dirigenten nicht geschafft, weil sie mit der Dynamik auch den Ausdruck wechselten, weil sie die Intimität der ruhigen Teile in den groß besetzten Stücken mit Opulenz und Brillanz kompensierten und dabei den Requiem-Charakter der Komposition verletzten. Auf CD ist Roger Norrington einer der wenigen Dirigenten, dem es gelang, der Musik die richtige Balance zu geben.
Morlot macht das sogar noch besser, weil er mehr noch als Norrington dem Chor mehr Bedeutung gibt und ihn als Hauptakteur zum alles verbindenden Element macht. Dennoch sollte man die Leistung des ‘Seattle Symphony’ nicht unterschätzen, das mit schönen Farben und einer wohlklingenden Transparenz musiziert.
Morlot bringt die Musik, ob laut oder leise, also auch in den Stücken, die bei anderen blendende Klangeffekte sind, in einer vertiefenden und zwingenden und wohl dosierten Leidenschaftlichkeit zum Ausdruck, weil er das Ganze in einen Zusammenhang bringt und, indem er die Effekte reduziert, den Reichtum des Ausdrucks steigert.
Kenneth Tarver singt mit starker und gut fokussierter Stimme, ziemlich intonationssicher und sehr lyrisch, ohne je zu strapazieren.
Und so wird denn dieses Requiem, das uns schon so oft unausgegoren vorgekommen ist, plötzlich in der ganzen Souveränität seiner Form und wegen der perfekten Balance zwischen Chor und Orchester zum ergreifenden musikalischen Erlebnis. Dank Morlots Gestaltungsphantasie und der Hingabe aller seiner hervorragenden musikalischen Kräfte bekommt es die tiefe spirituelle Tiefe, die ihm so oft fehlt.