In keiner anderen Stadt Deutschlands ist das Gedenken an die Zerstörungen am Ende des zweiten Weltkrieges so ausgeprägt wie in Dresden. Das Trauma des 13. und 14. Februars 1945, in der die Kunst- und Kulturmetropole in Schutt und Asche fiel und vermutlich 25.000 Menschen ihr Leben verloren, lastet bis heute auf der Stadt und wird nach wie vor den politischen Strömungen aller Couleur gepflegt, gehütet und teils auch instrumentalisiert. Die traditionellen Dresdner Gedenkkonzerte ohne Beifall und einem schweigenden Gedenken am Schluss bleiben davon zum Glück unberührt. Michael Oehme berichtet.
Rudolf Kempe hatte diese Konzerte 1951 mit Giuseppe Verdis Messa da Requiem begründet. Seitdem erklingen mit der Staatskapelle alljährlich im Wechsel die wesentlichen Requiem-Vertonungen von Verdi, Mozart, Brahms, Berlioz, Dvorák und Britten, aber auch andere diesem Anlass gemäße Werke. Die Dresdner Philharmonie hat sich wenige Jahre später dieser Tradition angeschlossen. Vorausgegangen war aber schon mit dem Kreuzchor die Uraufführung der überaus eindrucksvollen Motette ‘Wie liegt die Stadt so wüst’ (nach den Klageliedern Jeremiae) von Rudolf Mauersberger August 1945 in der ausgebrannten Kreuzkirche, gefolgt 1955 vom Dresdner Requiem des legendären Dresdner Kreuzkantors. Die Motette Mauersbergers stand auch wieder am Beginn des Gedenkkonzerts des Kreuzchors in der Kreuzkirche. Arvo Pärts „De Profundis“, Gabriel Faurés Cantique de Jean Racine und ‘Die Frucht der Stille ist das Gebet’ von Peteris Vasks führten sinnfällig hin zum Requiem von Gabriel Fauré. Martin Lehmann, Kreuzkantor seit 2022 in der Nachfolge von Roderich Kreile, erfüllte mit hoher Klangkultur seines Chores die lyrisch-meditativen Seiten dieses Werks, nicht zuletzt in dem anrührenden Schlusssatz In Paradisum. Bewegend das Sopransolo Pie Jesu von Alina Wunderlin von der Orgel ganz oben mit den Streichern unten am Altar im großen Kirchenraum. Bariton Andreas Scheibner, selbst ehemaliger Kruzianer und immerhin schon 73 Jahre alt, bestach mit unverändert schöner warmer Tongebung und geschmackvoller Deklamation.
Dann Brahms Ein deutsches Requiem in der Semperoper. Am 13. Februar 2003, dem Gedenktag damals, war es mit diesem Werk die erste Zusammenarbeit von Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle. Noch heute spricht Thielemann berührt von diesem musikalischen Eindruck und der damals noch stillen Atmosphäre an diesem Abend in der Stadt. Es dürfte ein wesentlicher Impuls dafür gewesen sein, dieses einmalige Orchester zu übernehmen und von 2012 bis 2023 zu leiten. Nun hat sich dieser Kreis mit der Aufführung in seiner letzten Dresdner Spielzeit geschlossen. Thielemann ist eine außerordentlich spannungsreiche und bis ans Innerste rührende Interpretation gelungen. Schon der Eingangssatz ‘Selig sind die Toten, die da Leid tragen’, in dem Brahms die Violinen noch schweigen lässt, brachte tiefgehende Farben und klangliche Schönheiten hervor. Überhaupt glänzte die Staatskapelle wie immer mit ihren disziplinierten Tugenden vom äußersten Pianissimo bis hin zum auftrumpfenden, aber nie lärmenden Fortissimo zum Beispiel in den Chorfugen. Auch der von André Kellinghaus einstudierte Sächsische Staatsopernchor leistete Großartiges und brachte eine beachtliche dynamische Spannbreite ein. Das heikle Sopransolo (Ihr habt nun Traurigkeit) gelang Julia Kleiter mühelos und geradezu schwebend über dem tieferen Klangteppich des Chores. An die sehr helle Baritonstimme von Markus Eiche musste man sich erst für einen Moment gewöhnen, was seine sängerischen Qualitäten und den wortgewaltigen von ihm vermittelten Text keinesfalls schmälerte. Sieben Sätze hat Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms. Nach dem monumentalen sechsten mit der Chorfuge ‘Herr, du bis würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft’ (Offenbarung Johannis) hielt Christian Thielemann mindestens eine Minute inne, um – ebenfalls auf Worte aus der Offenbarung – den Schlußsatz ‘Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben’ folgen zu lassen. In seiner scheinbaren Unendlichkeit und in dieser Differenziertheit mit all den Spannungsbögen und melodischen Linien wurde er tatsächlich zur Offenbarung.
Schließlich Marek Janowski mit dem Stabat mater von Antonin Dvorák, der Dresdner Philharmonie und dem MDR-Rundfunkchor im Kulturpalast. Janowski, Chefdirigent der Dresdner Philharmonie von 2001 bis 2003 sowie von 2019 bis 2023, war damit zu seinem ehemaligen Orchester zurückgekehrt, wenige Tage vor seinem 85. Geburtstag am 18. Februar. Als hochkonzentriert, sparsam in der Zeichengebung und altersweise in Kenntnis der Partitur würde ich sein Dirigat beschreiben. Die Dresdner Phiharmonie – ich schätze dieses engagierte, exzellent besetzte Orchester sehr – steuerte die leuchtenden Farben und dynamischen Ausbrüche bei, die die Musik Dvoráks so anziehend machen. Für den Chorpart hatte sich Janowski seinen Lieblingschor, den MDR-Rundfunkchor aus Leipzig gewünscht, der seinem vorauseilenden Ruf in nichts nachstand und alle möglichen dynamischen Facetten ein brachte. Bewundernswert wieder die Geschlossenheit des Chorklangs, auch der einzelnen Stimmen wie aus einem Guss. Gänsehaut dann bei der A cappella-Stelle Quando corpus unmittelbar vor der großen Amen-Fuge. Vier Solisten gehören zur Besetzung. Souverän und emotional bewegend gestaltete Hanna-Elisabeth Müller ihren anspruchsvollen Sopranpart, während die Mezzosopranistin Roxana Constantinescu auffallend unbeteiligt wirkte. Christian Elsner verfügt über die notwenige Kraft und den Glanz für eine Tenorpartie wie diese in Dvoráks Stabat mater. Herausragend dann der Bassist Tareq Nazmi. Kraftvoll und rund seine Stimme in allen Lagen. Das ‘Fac, ut ardeat cor meum’ (Lass mein Herz entbrennen in Liebe zu Christus) wurde durch ihn zu einem Höhepunkt der Aufführung. Wie gesagt auch bei diesem Konzert kein Beifall, sondern eine Minute des Gedenkens und Schweigens.