Zu hören ist in der Aufnahme der Oper Billy Budd von Benjamin Britten die ursprüngliche Originalfassung in vier Akten. Doch ist das nicht die einzige Besonderheit. Die Besetzung insbesondere der prägenden Figuren erfolgte mit gerade für diese Rollen bestens ausgewählten Sängern. Der Begleittext preist die Inszenierung über alle Maßen an.
In letzter Konsequenz kann ich dem Eigenurteil der Produzenten für diese Aufnahme aber nicht ganz folgen. Dazu mag das Fehlen der optischen Eindrücke beitragen sowie der Umstand, dass der Mitschnitt einer Aufführung neben den gewollten auch ungewollte Geräusche wie die Schritte größerer Gruppen auf der Bühne mit sich bringt. Auch ist die Aussteuerung des Tons nicht ganz optimal gelungen.
In der hier zu erlebenden ursprünglichen Fassung krönt die Ansprache von Kapitän Vere an die Mannschaft des Schiffes, mit der er die Männer auf den Kampf gegen das revolutionäre Frankreich einnordet, den ersten Akt. Diese wichtige Szene, aus der die eine Seite der Persönlichkeit des Kapitäns deutlich wird, entfiel später auf Wunsch von Peter Pears, da er sich ihr nicht gewachsen fühlte.
Der Sänger Neil Shicoff ist nicht nur dieser Szene stimmlich gewachsen, sondern sie bietet ihm den passenden Ansatz, um dagegen Veres introvertierten Charakter herauszuarbeiten. Der tiefe Zwiespalt zwischen grüblerischer Natur und treibender Führungsperson in Kapitän Vere wird in Shicoffs Darstellung bestens nachvollziehbar. Zwischen Pflichterfüllung und Gerechtigkeit pendelt die fragile und zerbrechliche Persönlichkeit des Kapitäns, und das füllt Shicoff in seinem Rollendebut mit Inbrunst.
Mit dem Bariton Bo Skovhus trägt ein weiterer Sänger maßgeblich zum famosen Gelingen bei, da der Billy Budd zu seinen Lieblingspartien zählt. Er kann die Rolle aus seinem Inneren heraus zu gestalten. Er zeigt das Kindliche des noch naiven Jungen mit großer jugendlicher Frische. Diese Darstellung kann er mit der stimmlichen Meisterschaft verknüpfen, da er mit seinen Ausdrucksmitteln aus dem Vollen schöpft, dabei aber ungekünstelt bleibt.
Dann ist noch der Bassist Eric Halfvarson als John Claggart herauszuheben. Als Inkarnation des Bösen bringt Halfvarson in seine Rolle, vor allem im Monolog im 2. Akt, seinen Neid und Hass auf alles Positive zum Ausdruck, was er in Billy Budd verkörpert sieht. Auf dessen Vernichtung zielend weiß Halfvarson allerdings nicht nur das Böse zu zeigen, sondern auch tiefgründig den Claggart als Leidenden zu charakterisieren, dem das Gute schwer zusetzt. Damit liefert er eine zwingende Studie der dunklen Abgründe der menschlichen Seele.
Es wäre angebracht, auch alle kleinen Rollen zu erwähnen, aber das würde hier den Rahmen überstrapazieren. Die große Qualität des Wiener Staatsopernensembles zeigt sich in lückenlos exzellenten Leistungen bis hin in die Verästelungen.
Der von Ernst Dunshirn einstudierte Chor bringt mit seiner gestalterischen und stimmlichen Sicherheit und Sensibilität einen weiteren bedeutsamen Aspekt in das gelungene Gesamtbild.
Donald Runnicles dirigiert mit stringentem Sinn für Spannung und Klangschattierungen. Er hat die Strukturen der Oper so konturiert, dass er das gesamte Bild beherrscht und trotzdem die Details beleuchtet. Das gelingt ihm, indem er trotz der großen Besetzung das Orchester immer wieder anregt, kammermusikalisch zusammen zu rücken. Vergleicht man mit einer Einspielung mit Britten selber und Peter Pears, dann der späteren Fassung, so wirkt das Orchester hier etwas spröder, weniger schmelzend. Das ändert nichts an der Qualität, zeigt nur einen etwas anderen Charakter.
Über alles bietet diese Aufnahme eine wunderbare frühe Fassung der Oper Billy Budd von Benjamin Britten ohne Einschränkungen. Das Fehlen der optisch ergänzenden Eindrücke mag man vermissen. Aber auch nur gehört bietet dieser Mitschnitt eine grandiose Auseinandersetzung mit dem Stoff.
This recording of Benjamin Britten’s opera Billy Budd features the original four-act version. But that is not the only special component. The cast, in particular the formative characters, was made up of singers who were especially well chosen for these roles. The accompanying text praises the production to the skies.
Ultimately, however, I cannot quite follow the producers’ own assessment of this recording. This may be due to the lack of the visual impressions and the fact that the recording of a performance brings with it unwanted noises, such as the footsteps of large groups on stage. The leveling of the sound is also not quite not quite optimal.
In the original version heard here, the first act is crowned by Captain Vere’s speech to the ship’s crew, in which he rallies the men for the fight against revolutionary France. This important scene, which reveals one side of the captain’s personality, was later omitted at Peter Pears’ request, as he did not feel up to it.
The singer Neil Shicoff is not only vocally up to this scene, but it also provides him with the right approach to work out Veres’ introverted character. The deep dichotomy between the brooding nature and the driving leader in Captain Vere becomes perfectly comprehensible in Shicoff’s portrayal. The captain’s fragile and delicate personality oscillates between the fulfillment of duty and justice, and Shicoff fills his role debut with fervor.
With the baritone Bo Skovhus, another singer makes a significant contribution to the splendid success, as Billy Budd is one of his favorite roles. He is able to shape the role from within. He shows the childishness of the still naive boy with great youthful freshness. He is able to combine this portrayal with vocal mastery, as he draws on the full range of his means of expression while remaining unaffected.
The bass Eric Halfvarson as John Claggart should also be singled out. As the incarnation of evil, Halfvarson expresses his envy and hatred of everything positive which he sees embodied in Billy Budd, in his role, especially in the monologue in Act 2. Aiming for his destruction, Halfvarson knows not only how to show evil, but also how to characterize Claggart in depth as a sufferer who is severely afflicted by good. In doing so, he delivers a compelling study of the dark abysses of the human soul.
It would be appropriate to mention all the smaller roles as well, but that would overstretch the scope here. The great quality of the Vienna State Opera ensemble is evident in their consistently excellent performances, right down to the finest detail.
The chorus, rehearsed by Ernst Dunshirn, adds another significant aspect to the successful overall picture with its creative and vocal security and sensitivity.
Donald Runnicles conducts with a stringent sense of tension and tonal shading. He has outlined the structures of the opera in such a way that he masters the entire picture and yet is always able to tease out new scenes that illuminate the details. He achieves this by repeatedly encouraging the orchestra to move closer together in a chamber music style, despite the large instrumentation. If you compare it with a recording with Britten himself and Peter Pears, then the later version, the orchestra seems somewhat more brittle this time, less melting. That doesn’t change the quality, it just shows a slightly different character.
Over all, this recording offers a wonderful early version of Benjamin Britten’s opera Billy Budd without any limitations. One may miss the lack of visually complementary impressions. But even when heard alone, this recording offers a magnificent exploration of the material.