Nach der Veröffentlichung einiger Beethoven-Symphonien mit dem Gewandhaus-Orchester unter Herbert Blomstedt auf DVD und Blu-ray, legt Accentus nun die Gesamtaufnahme auf CD vor. Der Gesamteindruck ist hervorragend. Es handelt sich um eine in sich geschlossene Deutung der Symphonien, die mit traditionellen Mitteln, fern jeder historisch informierten Lesart, eine spannende Begegnung mit den Symphonien ermöglicht, deren Rhetorik sehr persönlich ist, mit immer wieder ganz tollen Steigerungen und Akzenten, mit einer fabelhaften Rhetorik, einem immer schneller oder langsamer pulsierenden Klang und mit einem durchwegs exzellenten Orchesterspiel.
Schon in den beiden ersten Symphonien lenkt Blomstedt die Aufmerksamkeit des Hörers auf besondere Details, belebt die Musik mit Akzenten und klugem Rubato, ohne aber im Tempo und in der Dynamik je mehr zu machen als nötig ist. Darin unterscheidet er sich von vielen jungen Dirigenten.
Sehr rhetorisch und mit einem dichten, geschmeidigen Klang, viel federnder Rhythmik in den schnellen Sätzen, viel Expressivität im Trauermarsch erklingt die ‘Eroica’.
In der Vierten fasziniert das mit großer Wärme, viel transparenter Dichte und viel schönem Legato gespielte Adagio, während die übrigen Sätze dieser Symphonie mit viel Drive lebendig musiziert werden.
Blomstedts flexibles ‘Power Management’ kommt der Fünften Symphonie entgegen, deren Schicksalsdramatik er spannungsvoll steuert. Er hält dabei immer so viel Power in der Reserve, dass er nicht schon am Anfang sein ganzes Pulver verschießt, sondern in der ganzen Symphonie mit viel Spannung Akzente setzt und so den finalen Höhepunkt gut vorbereitet.
Gut gelaunt geht Altmeister Herbert Blomstedt Beethovens ‘Pastorale’ an, und das wirkt ansteckend aufs Orchester. So wird Beethovens Maxime umgesetzt, die Symphonie sei mehr Ausdruck der Empfindung als Klangmalerei. Blomstedt wird jedenfalls dem Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande bestens gerecht.
Sehr bewegungsreich und schwärmerisch folgt der zweite Satz, tänzerisch und lustig der dritte. Nach dem hoch dramatischen Gewitter kann man im Finale hören, wie sehr die Luft gereinigt ist. Das Gewandhausorchester spielt mit viel Wärme und einer schlanken, kantabel-transparenten Beweglichkeit.
Vergleichsweise banal wirkt dagegen die Siebte, mit einem klassisch- schönen und detailreich gedeuteten, letztlich aber doch etwas schwergewichtigen ersten Satz. Kantabel erklingt das Allegretto, detailreich das Presto, und dann fehlt es dem Finale an Leichtigkeit und Frische: Das Gewandhausorchester wirkt in der kraftvollen Umsetzung des Blomstedtschen Dirigats etwas routiniert.
Die eigentlich wenig populäre Achte Symphonie wird mit viel Liebe zum Detail und viel Schwung aufgewertet und zu einem durchaus kecken Stück. Im Allegretto scherzando entdeckt Blomstedt mehr Humor als die meisten seiner Kollegen hier zum Ausdruck bringen.
Wenn Blomstedt im ersten Satz der Neunten den Paukenwirbel als ein Gewitter inszeniert, das dem der ‘Pastorale’ überlegen ist, merkt man, dass hier mehr passiert, als erwartet. Der Dirigent hat so manche neuen Ideen im ersten und auch im fein differenzierten, sehr liebevoll und leicht aufbereiteten zweiten Satz. Das Tempo ist relativ flott. Der generell in seinen Beethoven-Einspielungen aus Leipzig energetischere und schnellere Chailly braucht für diesen zweiten Satz 14:16, während Blomstedt ihn in 13:47 spielt. Aber Chailly ist erheblich schneller im ersten Satz (13:31 gegen Blomstedts 14:19), im Adagio (12:51 gegen 13:23) und im Finale (22:11 gegen 23’37). Das sind keine riesigen Unterschiede, aber wo ich Chaillys Dirigieren als unnatürlich schnell und drängend empfand, wirkt Blomstedt in kontinuierlichem Fluss sehr natürlich.
Sehr einfühlsam gestaltet und in fast überirdischer Schönheit erklingt dann der langsame Satz, ohne jede Feierlichkeit, ohne Weihrauch, ohne Pathos, einfach nur in natürlich geatmeter Schönheit.
Sehr rabiat beginnt der letzte Satz, ehe Christian Gerhaher mit der ihm eigenen Ausdruckskraft und Humanität andere Töne fordert. Simona Saturova singt brillant, Mihoko Fujimura bewegend schön und vergeistigt. Christian Elsner ist souverän in seinem nicht einfachen Part. Die Chöre verleihen dieser Aufnahme einen weiteren Pluspunkt, und diese vokalen Elemente samt Orchester fügt Herbert Blomstedt in eine großartig gewahrte Linie ein, tiefschürfend, unpathetisch als Loblied auf die Freude und die Menschlichkeit.
So endet dieser Zyklus als Ausdruck der Liebe Blomstedts zur Musik, der Liebe eines nunmehr Neunzigjährigen, der für seine Arbeit die Frische eines Jugendlichen bewahrt hat, gepaart mit der Weisheit, die sich aus der Summe seiner Erfahrungen ergibt.