Fabrice Bollon: The Folly, Tragedy of Erasmus of Rotterdam, Libretto by Clemens Bechtel; Erasmus of Rotterdam: Michael Borth (Bariton), Stultitia (The Folly) / Papst Julius II: Zvi Emanuel-Marial (Countertenor), Petrus / Da Bibbiena, Sekretär des Papstes Leo X: John Carpenter (Bariton), Margarethe Büsslin: Anja Jung (Contralto), Ein Junge: Alma Unseld (Kindersopran), Ulrich von Hutten: Inga Schäfer, (Mezzosopran), Martin Luther: Roberto Gionfriddo (Tenor), Papst Adrian VI / Deutscher Abgesandter Jin Seok: Lee (Bass), Priester: Jörg Golombek (Tenor), Jung-Nam Yoo: Pascal Hufschmid (Bass), Begleiter von The Folly: Bonnie Frauenthal (Sopran), Melissa Serluco (Sopran), Charis Peden (Mezzosopran), Yeonjo Choi (Tenor), Jae Seung Yu (Bass), Eine Mutter: Agostina Migoni (Sopran), Ein Priester / Vorsänger: Stavros-Christos Nikolaou (Bariton), Eine Nonne: Christiane Klier (Mezzosopran), Papst Leo X: Johannes Kaffner (Sprecher), Friederike Hess-Gagnon (elektrische Violine), Dina Fortuna-Bollon (Elektrisches Cello), Tilman Comer (Elektrische Pauken), Opernchor des Theater Freiburg, Extrachor des Theater Freiburg, Norbert Kleinschmidt, Chorus Master, Kinder- und Jugendchor des Theater Freiburg, Martin Frey, Leader of Children and Youth Choir, Philharmonisches Orchester Freiburg, Fabrice Bollon; # Naxos 8.660545-46; Aufnahme 07.2022, Veröffentlichung 28.06.2024 (70'41 + 47'43) – Rezension von Pál Körtefa

‘Die Torheit – Die Tragödie des Erasmus von Rotterdam’ betitelt Fabrice Bollon sein Werk, das bei Aufführungen mitgeschnitten wurde. Es behandelt die historische Persönlichkeit Erasmus von Rotterdam. Dieser niederländische Universalgelehrte war der bedeutendste Vertreter des europäischen Humanismus der Renaissance und ein einflussreicher Kirchenreformer, der zu den Wegbereitern der europäischen Aufklärung zählt. Zusammenfassend behandelt das Werk die Haltung des Erasmus, die von Zeitgenossen und Nachkommenden vereinfachend als Unentschlossenheit oder Unwille, eine Entscheidung zu treffen, und damit als Feigheit gedeutet wurde. Dabei positionierte er sich vorsichtig, um nicht gebrochen zu werden und sich immer wieder aufrichten zu können. Er starb von allen Seiten angegriffen, einsam und allein, aber unabhängig und frei.

Diese ihm seinerzeit gemachten Anfeindungen, auch mit Hilfe des damaligen neuen ‘sozialen Mediums’, dem Buchdruck, schlägt den Bogen zu der auch heute aktuellen Frage, wie man sich verhalten sollte, wenn eine Auseinandersetzung hysterisch wird und immer extremere Positionen eingenommen werden.

Im Stück erlebt Erasmus als einsamer alter Mann, umgeben von seinen Büchern, rückblickend die Ereignisse. Eine detaillierte Synopse findet sich neben anderen hilfreichen Informationen im Beiheft. Dabei vermischen sich für ihn fiktive Figuren seiner Bücher mit realen Menschen, die für ihn wichtig waren. Die verschmelzenden Erzählebenen bekommen eine symbolische Bedeutung und literarische Schöpfungen werden real. Als gemeinsame Sprache der damaligen Intellektuellen stand das Latein über lokalen Sprachen und Dialekten, so dass letztere nicht unbedingt eine trennende Wirkung hatten. Acht verschiedene Sprachen finden sich auch in der Oper wieder. Sogar die Musik nimmt sowohl Werke des frühen 16. Jahrhunderts wie auch zeitgenössische Musik bis hin zum Pop auf. Mit beiden Komponenten möchte Bollon an die Offenheit der Humanisten in einer versöhnlichen Gegenwart erinnern.

Bollon hat zum Ende seiner Zeit als Generalmusikdirektor in Freiburg auch mit dieser Oper ein modern farbenreiches Komponieren umgesetzt. Mit den elektrischen Instrumenten nützt er weitere spezielle klangliche Effekte. Geschickt versteht er es, verschiedene musikalische Ausdrucksmittel so zu kombinieren, dass ein tragendes Ganzes entsteht, das mehrere Formen verbindet und nicht nur nebeneinander stellt. So trägt seine Komposition über die beinahe zwei Stunden Spieldauer und hinterlässt einen abwechslungsreichen, aber nicht beliebigen Eindruck.

In fünf Akten mit 56 Szenen bietet Bollon ein reiches Panorama, das nicht nur dem Orchester wechselnde Aufgaben abverlangt, sondern auch der zahlreichen Sängerschar rasches Agieren zuschreibt. Die Partien sind teilweise auch umfassend und bedürfen geformter Stimmen, die diesen Aufgaben gewachsen sind. Da darf man zum Glück attestieren, dass das Ensemble der Oper Freiburg, bei der Vielzahl der Mitwirkenden ohne Einzelbewertung, hier in einheitlich geschlossener Qualitätsbesetzung, mit großem und gelungenem Einsatz diese Oper umsetzt. Auch die drei Chöre bieten mit packendem gemeinschaftlichem Einsatz ihre Partien ausgewogen und klangschön sowie rhythmisch sicher dar.

Dass der Komponist auch als Dirigent die Leitung in Händen hält, trägt wie bei den Sängern auch beim Orchester dazu bei, dass die Instrumentalisten ihr präzises und engagiertes Spiel zum großartigen Gelingen beitragen.

Das mehrsprachige Libretto steht zusammen mit einer Übersetzung ins Englische über einen bei der Aufnahme mitgelieferten Internetlink zur Verfügung. Erfreulicherweise bieten die Liveaufnahmen eine gelungene technische Realisierung ohne nennenswerte Abstriche.

Erasmus sagte, „meiner Meinung nach kommt man mit bescheidenem Anstand weiter als mit Schimpfen und Druck. So hat Christus die Welt erobert.“

The Folly – The Tragedy of Erasmus of Rotterdam is the title of Fabrice Bollon’s work, which was recorded during performances. It deals with the historical figure of Erasmus of Rotterdam. This Dutch polymath was the most important representative of European Renaissance humanism and an influential church reformer who was one of the pioneers of the European Enlightenment. In summary, the work deals with Erasmus’ attitude, which was simplistically interpreted by contemporaries and descendants as indecisiveness or unwillingness to make a decision, and thus as cowardice. He positioned himself carefully so as not to be broken and to be able to stand up again and again. He died attacked from all sides, lonely and alone, but independent and free.

The hostility he was subjected to at the time, also with the help of the new “social medium” of the time, the printing press, links up with the question, which is still topical today, of how one should behave when an argument becomes hysterical and increasingly extreme positions are taken.

In the play, Erasmus, a lonely old man surrounded by his books, looks back on the events. A detailed synopsis can be found in the booklet, along with other helpful information. Fictional characters from his books mingle with real people who were important to him. The merging narrative levels take on a symbolic meaning and literary creations become real. As the common language of the intellectuals of the time, Latin stood above local languages and dialects, so that the latter did not necessarily have a divisive effect. Eight different languages can also be found in opera. Even the music incorporates works from the early 16th century as well as contemporary music, including pop. With both components, Bollon wants to remind us of the openness of the humanists in a conciliatory present.

At the end of his time as General Music Director in Freiburg, Bollon also realized a modern, colourful composition with this opera. With the electric instruments, he makes use of further special tonal effects. He is adept at combining different means of musical expression in such a way as to create a supporting whole that combines several forms rather than merely juxtaposing them. In this way, his composition carries over the almost two hours of playing time and leaves a varied but not arbitrary impression.

In five acts with 56 scenes, Bollon offers a rich panorama that not only demands changing tasks from the orchestra, but also requires the numerous singers to act quickly. Some of the parts are also extensive and require formed voices that are up to the task. Fortunately, it can be said that the ensemble of the Freiburg Opera, despite the large number of singers involved, performs this opera with great and successful commitment in a uniformly unified, high-quality cast. The three choirs also offer their parts with a gripping joint effort, balanced and beautiful in sound as well as rhythmically secure.

As with the singers, the fact that the composer also conducts the orchestra also contributes to the instrumentalists’ precise and committed playing.

The multilingual libretto is available together with a translation into English via an internet link supplied with the recording. Fortunately, the live recordings offer a successful technical realization without any significant compromises.

Erasmus said, “In my opinion, one gets further with modest decency than with scolding and pressure. This is how Christ conquered the world. »

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