Zehn Orchester sind dieses Jahr bei den Londoner ‘Proms’ für ihr erstes Konzert bei dem berühmten Festival angesagt. Auf der Liste befindet sich auch das ‘Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra’, das vor über 3.000 Zuhörern in der ‘Royal Albert Hall’ ein viel bejubeltes Konzert gab und gleichzeitig auch eine neue CD beim britischen Label Onyx vorstellte.
Das vom türkischen Industriekonzern Borusan 1999 gegründete, privat finanzierte ‘Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra’ gibt Konzerte sowohl im europäischen als auch im asiatischen Teil Istanbuls. Wir haben es im Konzert und auf CD als eine homogene, hoch motivierte Formation kennen gelernt. Für das hohe Niveau ist maßgeblich der Chefdirigent Sascha Goetzel verantwortlich. Die über 100 Musiker spielen auf der vorderen Stuhlkante, erzielen eine phänomenale Schlagkraft und können doch auch sehr differenzieren, weil sie ganz der sinnlichen Feinfühligkeit ihres Chefdirigenten ergeben sind.
In einem Land, dessen Regierung klassische westliche Musik nicht für eine Priorität hält, ist die Klassik-Fahne, die Borusan weit sichtbar trägt, von eminenter Bedeutung, und die Philosophie von Ahmet Kocabiyik, dem Vorsitzenden der ‘Borusan Holding’, ist in diesem Orchester voll aufgegangen: « Kunst macht die Leute nachdenklich, friedvoll, sozial, warmherzig und als Resultat all dessen, glücklich. »
In der ‘Royal Albert Hall’ stellte sich das Orchester am 29. Juli mit einem weitgehend orientalisch geprägten Programm vor, in dem nur ein Werk einen ganz anderen Charakter hatte, Gabriel Prokofievs Violinkonzert Nr. 1 mit dem Untertitel ‘1914’. Wie üblich bei dem immer auf effektvolle Musik bedachten Enkel Sergei Prokofievs gab es viele ‘déjà entendu’-Momente, vorübergehende Erinnerungen an Musik des Großvaters, an Honeggers ‘Pacific 231’, an Varèse, an Mossolovs ‘Eisengießerei’, aber auch etlichen Leerlauf. Das Borusan Orchester spielte brillant, und Daniel Hope war ein exzellenter Solist in einem höllisch schwierigen Geigenpart, der leider nicht immer richtig zur Geltung kommt. Dieses Konzert wird sich denn auch wohl kaum im Repertoire etablieren.
Im übrigen Programm gefielen Mozarts Ouvertüre zu ‘Die Entführung aus dem Serail’ in einer besonders ausgefeilten und bewegungsreichen Interpretation, genau wie das leicht und tänzerisch dargebotene Händel-Werk ‘Arrival of the Queen of Sheba’. Zuvor hatte Mili Balakirevs Bravourstück ‘Islamey’, tänzerisch artikuliert, das Orchester in spektakulärer Virtuosität gezeigt.
Ottorino Respighis ‘Belkis – Königin von Saba’ ist ein abendfüllendes Ballett mit Gesang, aus dem Respighi eine Suite zog, deren orientalisches Flair in der prunkvollen Aufführung des Borusan Orchesters das Publikum zu Recht begeisterte.
Von Gustav Holst kennen die meisten Musikfreunde wohl nur die Suite ‘The Planets’. Deshalb war auch für das britische Publikum die exotisch gefärbte Suite ‘Beni Mora’ ein eher selten gehörtes Stück. Mit ihrem geheimnisvollen 2. Satz und dem Finale, in welchem der Komponist 163 Mal ein Motiv wiederholt, das er von einem nordafrikanischen Musiker gehört haben soll, wurde die suggestiv gespielte Suite zu einem weiteren Höhepunkt des Abends.
Das ‘Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra’ und Sascha Goetzel wurden vom Publikum in der ‘Royal Albert Hall’ enthusiastisch gefeiert und gaben als Bis die 1943 entstandene Suite ‘Köçekçe’ des türkischen Komponisten Ulvi Cemal Erkin. Diese brillante Tanzrhapsodie spiegelt die für die türkische Musik charakteristischen Harmonien, Melodien und Rhythmen wider und kam in der faszinierenden Interpretation des Orchesters aus Istanbul auf authentische Weise zu voller Wirkung.
Nach dem Konzert wurde vom Label Onyx die neueste CD des ‘Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra’ vorgestellt, auf der Goetzel Rimsky-Korsakovs ‘Scheherazade’, Mili Balakirevs ‘Islamey’, Ippolitovs ‘Kaukasische Skizzen’ und Erkins ‘Köçekçe’ dirigiert. Die Schallplatte werden wir in unserer CD-Rubrik vorstellen.