Ian Bostridges Winterreise-Film mit dem Regisseur David Alden zählt zu den größten Interpretationen von diesem Schubert-Zyklus überhaupt. Der britische Tenor hat die Winterreise allerdings schon mehrmals auch für Audio-Tonträger aufgenommen. Jetzt bringt Pentatone eine Liveaufnahme aus der Wigmore Hall heraus.
Diese Interpretation wird sicherlich auf Zustimmung und auf Widerspruch stoßen, weil Bostridge gerne zur Überbetonungen, Überakzentuierungen und Manierismen neigt, die man durchaus als unpassend empfinden kann.
Die neue CD mit der Videoaufnahme zu vergleichen macht nicht viel Sinn. Doch verglichen mit der Audioaufnahme mit Leif Ove Andsnes, zeigen sich viele Entwicklungen in der Sicht des Sängers auf diesen Zyklus.
Am auffallendsten ist wohl das Stimmmaterial an sich. Bostridges Stimme ist reicher geworden, und im unteren Bereich auch dunkler, fast schon baritonal. Das gibt dem Interpreten mehr darstellerische Möglichkeiten, mehr Farben und ein entsprechend größeres Ausdruckpotenzial, das er voll ausschöpft, um jedes wichtige Wort bedeutsam werden zu lassen. Dass die Textverständlichkeit perfekt ist, ist bei Bostridge normal.
Unterstützt von Thomas Ades, der das emotionale Gestalten voll mitträgt, gelingt Bostridge eine seltene Geschlossenheit der Musik, indem sich die einzelnen Lieder zu einem einzigen Gedankengang zusammenfügen. Der Hörer saugt dieses Bekenntnis eines jungen, verstoßenen Liebenden auf und verfolgt gebannt seinen Weg bis zum tragischen Ende.