Ist es wirklich nötig, dass die Münchner Philharmoniker nach ihren hervorragenden Bruckner-Einspielungen mit Celibidache und Thielemann nun auf ihrem eigenen Label auch noch ihren neuen Chef Valery Gergiev ins Rennen schicken müssen? Nach Anhören dieser Aufnahme vom September 2015 muss man die Frage eindeutig verneinen. Gergiev dirigiert die Romantische zwar mit viel Sinn für Klang, interpretatorisch aber geschieht dann doch recht wenig. Wenn er auch mit der Dynamik erstaunlich gut zurechtkommt, so fehlt dem russischen Dirigenten doch die Inspiration für eine durchgehend mitreißende Interpretation. Sicher, die abgerundeten Kanten, die sanften Konturen und der Tchaikovsky-Schmelz mögen für viele vielleicht interessant klingen; auch einige Tempomodifikationen (insbesondere im zweiten Satz) lassen aufhorchen, doch blickt man hinter das phänomenale Klanggeschehen, das von den Münchner Philharmoniker gekonnt in Szene gesetzt wird, dann bleibt in Sachen Aussagekraft und emotionalem Gehalt nur eine 0815-Aufnahme mit einem gehörigen Schuss Kitsch übrig. Celibidache (auf CD) und Thielemann (auf Blu-Ray) haben in der Vierten jeweils Position bezogen, Gergiev tut das nicht wirklich und bietet allerhöchstens einen guten Durchschnitts-Bruckner. Doch wer braucht den heute? Es gibt so viele herausragende Einspielungen dieses Werkes, dass man Gergievs Version nicht unbedingt haben muss.
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 4 (Fassung 1878/80); Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev; 1 CD MPHL 0002; Aufnahme 10/2015, Veröffentlichung 10/2016 (68’21) -Rezension von Alain Steffen