Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks legt eine Box mit den Bruckner-Symphonien 1 bis 9 vor, dirigiert von vier Dirigenten. Mit zwei Aufnahmen sind Lorin Maazel sowie Bernard Haitink vertreten. Die Neunte steuert Blomstedt bei und mit vier Aufnahmen ist der gegenwärtige Chef Mariss Jansons beteiligt.
Lorin Maazel hat die Symphonien 1999 eingespielt. Daraus eröffnen die erste und zweite hier den Reigen. Damals war Maazel der BR-Chef. Er lieferte keine neuen Erkenntnisse. Wenn man diesen Aspekt beiseitelässt, zieht die Interpretation einen in den Bann. Maazels Tempi sind langsam. Aber im Unterschied zu anderen Langsamkeitsauskostern brodelt es bei ihm, er hält die Innenspannung. Dabei dosiert er dynamisch genauestens. Er lässt das Orchester mit filigranen Klangfarben agieren. Allerdings wirken die Blechbläser manchmal eher kantig scharf als leuchtend voll.
So alt wie Maazel damals war ist das Orchester heute, nämlich im 70. Lebensjahr. So ist die Sammlung zugleich ein Eigengeschenk ans Orchester und ein Rückblick auf seine Erlebnisse mit Bruckner. Denn alle vier Taktstockmeister gehören wie das Ensemble zu den Großen ihres Metiers. Da alle Beteiligten auf höchstem Niveau agieren, konnten auch bei allen Stücken Konzertmitschnitte ausgewählt werden, in drei Fällen sogar nur aus einem Konzert.
Die CDs sind in der Box in jeweils eine Papphülle eingelegt, deren Vorderseite immer ein großformatiges Foto des Dirigenten ziert. Da kann man natürlich viel hineingeheimsen oder es auch lassen. Aber Maazel und Haitink wurden mit hochkonzentrierten, vielleicht sogar angespannten Aufnahmen festgehalten. Blomstedt lächelt wie die Mona Lisa minimal sanft entrückt. Bei allen vier Symphonien mit Jansons strahlt dieser mit glücklicher Zufriedenheit. Ein wenig mag man das in der Ausstrahlung der Musik wiederfinden. Denn Blomstedts Neunte und die Aufnahmen mit Jansons strahlen fließender und wärmer aus als die anderen Darbietungen.
Damit soll nicht gesagt werden, dass die fünfte und sechste Symphonie mit Haitink nicht auch wunderbare Interpretationen sind. Sie zeichnen sich durch schön ausgefärbte Details aus. Doch auch die Entwicklung wird fein ausgearbeitet. Das gelingt sowohl bei der Fünften, die zu den beliebtesten gehört, und bei der im Verhältnis geradezu unbekannten Sechsten ebenso. Allerdings habe ich in meinem früheren norddeutschen Leben mit den Interpretationen von Günter Wand beim NDR oder auch in anderen Zusammensetzungen noch stringentere Versionen kennengelernt.
Die Neunte mit Herbert Blomstedt entspricht mit ihrer Darstellung dem Bild der Hülle. Verklärt lächelnd bietet der Schwede eine auf Erlösung gerichtete Deutung an und keine todesängstliche. Diese positive Sicht tut der Musik gut, erleichtert aber auch andererseits um tiefgründige Momente der Kontemplation.
Bleiben die vier Werke mit Jansons, die dritte und vierte sowie siebte und achte Symphonie. Man könnte es kurz fassen und sagen, dass Jansons sein Orchester zu einem atemberaubend intensiven Spiel anregt, zu dem er die Musiker mit seinen Handreichungen inspiriert. So entwickeln sich weich und organisch ungewöhnlich dichte, dabei höchst transparente Interpretationen, die vom tiefen gegenseitigen Vertrauen und Verstehen zwischen Dirigent und Orchester zeugen. Man spürt von Anfang an die starke lyrische Kraft, den sogartigen inneren Zug dieser souverän strömenden Ausleuchtungen, die in eine beredte, rhetorisch zwingende Form münden.
Spezialisten der Werke von Bruckner mögen hier oder da andere Herangehensweisen bevorzugen oder eine der Aufführungssituation geschuldete Unfeinheit anmerken. Insgesamt aber handelt es sich um eine äußerst hörenswerte Sammlung. Dem Fachmann ebenso wie dem Laien bietet die Sammlung auch preislich eine interessante Näherung an Bruckner, die alle Symphonien, ohne die frühen Übungswerke, vereint und durch die Kombination von vier Dirigenten unterschiedliche Hörerlebnisse ermöglicht und zur Auseinandersetzung anregt. Möge dieses Eigengeschenk des Orchesters als gutes Omen für viele weitere großartige Momente gelten.