Josef Bulvas Chopin ist gewöhnungsbedürftig. Er ist groß dimensioniert, gewichtig, zielstrebig, und gleichzeitig ungemein sachlich, ohne jede Gefühlsduselei, sozusagen absolute Musik mit völliger Ausgewogenheit der beiden Hände. Ich habe in Chopins Minutenwalzer noch nie so sehr auf die linke Hand geachtet wie in der vorliegenden Aufnahme. Bulva bürstet das Stück so sehr gegen den Strich, dass man wegen alter Hörgewohnheit anfangs doch mehr als nur irritiert ist.
Auch die Polonaise op. 44 mit ihrem schweren Tanzschritt unterscheidet sich von vielem, was man kennt. Aber die Polonaise ist ja kein beschwingter Tanz, sondern ein ‘feierlich geschrittener Tanz’. Man muss sich etwa Rubinsteins schwebende Interpretation anhören, um den Protest Chopins zu ermessen, den Bulva hörbar macht, so als wolle der Komponist seinen ganzen Unmut darüber zum Ausdruck bringen, dass er so unpolnisch geworden war. Wie ein in der Ferne grollendes Gewitter zieht diese ‘Polonaise tragique’ mit ihrem zentralen Mazurka-Kern an uns vorbei, fern von Rubinsteins Melodienseligkeit.
Das alles liegt an Bulvas Kompromisslosigkeit und seinem Willen, den Text so objektiv wie möglich wiederzugeben. Er sucht dafür keine interpretatorischen, sondern pianistische Lösungen, mit Chopins Satz im Hinterkopf: « Einfachheit ist das höchste Ziel, erreichbar nur, wenn man alle Schwierigkeiten hinter sich hat. »
Das 3. Scherzo liefert dafür eine Menge guter Beispiele, nicht zuletzt durch das gemäßigte Grundtempo, weil Bulva eben nicht der Auffassung ist, das Stück gewinne durch Schnelligkeit an Dramatik. Er lässt sich Raum für Steigerungen, für Spannung und Entspannung.
Nun glaube man ja nicht, Bulvas Sachlichkeit sei langweilig, denn es passiert ständig so viel, dass man mit dem Hinhören sehr beschäftigt ist. Wer nicht genau hinhören will, sondern lieber einen eleganteren Chopin mag, wird mit dieser CD nicht glücklich.
Chopin-Kenner aber werden Bulva danken für das, was er ihnen komplementär zu anderen erstrangigen Chopin-Pianisten zu sagen hat.
Joseph Bulva’s Chopin is very objective and one has to get used to it. But it uncovers so many new aspects that, at the end, even the listener who would prefer a more elegant and cosy Chopin must acknowledge that he is getting a lot of supplementary information from Bulva’s playing.