Die Umstände der Uraufführung lassen sich sicherlich nicht wirklich zurückholen. Aber eine Aufführung an dem Ort, der Opéra Comique in Paris, mit einem auf historischem Instrumentarium spielenden Orchester kann sicherlich einige Hinweise geben. Die Bühne dieses Hauses gehört zu den kleineren, so dass weder große Bilder möglich sind noch das Orchester im Graben davor viel Platz hat. Daher war sicherlich eine intime Beschränkung an Lautstärke angebracht, was auf einer Aufnahme nicht sicher nachzuvollziehen ist. Das dürfte der Riege der Sänger das Leben erleichtert haben.
Diese Umstände nutzt Regisseur Adrain Noble, um ein spanisch angehauchtes, eben nicht klischeetriefendes Ambiente zu gestalten. Damit lehnt er sich auch nicht aus dem Fenster, so dass die Inszenierung sachgerecht ist. Bei insgesamt guter Personenführung sind manche Chorauftritte mit allzu gleichgerichteten Bewegungen zu steif organisiert und die Dekolletés der Damen zu Beginn sind ein Wink mit dem Zaunpfahl auf die Hitze am Handlungsort – oder sollen sie einfach sexuell anziehend wirken? Noble gibt jedem der Statisten ein echtes Leben; sie reagieren und bewegen sich wie Individuen.
Die orchestrale Behandlung durch Gardiner bewirkt klare und saubere Strukturen, die kaum einmal bekräftigter Darstellung benötigen, um zu wirken. Die Edition bietet einige sonst oft gestrichene Positionen. So enthält sie viele gesprochene Dialoge und etwa ein düsteres Stück Orchesterkommentar während der Kartenszene. Gardiners Tempi sind gewohnt schnell. Er packt mit Appetit, Detailfreude und Begeisterung an, versprüht Energie und unterstreicht mit Feingefühl die zahlreichen nuancierten Passagen, die die Handlung mit notwendigen Atempausen unterbrechen.
Auch Gardiners Chor verdient Lob. Aussprache, Präzision oder Ausdruckskraft, alles stimmt.
Die stimmliche Besetzung ist homogen mit einer Ausnahme, die sinnliche und aufreizende Carmen von Anna Caterina Antonacci sticht hervor. Sie überzeugt als Heldin mit Frechheit, Jugendlichkeit und Fröhlichkeit. Das sind Eigenschaften, die oft von den Attributen der Femme fatale in den Schatten gestellt werden. Als freie Frau lebt sie ihre Leidenschaften jenseits aller Konventionen. Sie verfügt über eine tragende Ausstrahlung sowie stimmliche Qualitäten und eine Diktion, gerade auch des Französischen, die einfach zusagt.
Die andere besondere Leistung bietet Anne-Catherine Gillet mit einer zerbrechlichen und berührenden Micaëla. Ihre nicht so starke, eher feine und kristallklare Stimme ist geradezu ideal für diese zweite Frauenrolle im Tableau. Mitunter bleibt sie szenisch etwas neutral. Ihre Micaela ist aufrichtig und besonders im ersten Akt reizvoll.
Andrew Richards bietet dem Don José eine nicht außergewöhnliche Stimme. Aber mit einer guten Aussprache und theatralisch sehr glaubwürdigem, menschlich geprägtem Auftritt macht er das wett.
Nicolas Cavallier agiert mit selbstbewusster großer Autorität und Noblesse, ohne mit Charme zu überwältigen. Er spielt mit grober Genauigkeit einen ehrlichen Escamillo. Die Nebenrollen werden gut mit eigener Statur gelebt.
Indem die Beziehung der Carmen zu Don José nicht als Tragödie, sondern als gescheiterte Liebesbeziehung erlebbar gemacht wird, bei der die Konfrontation erst im Moment ihrer endgültigen Auseinandersetzung stattfindet, erzielen die Akteure eine große Wirkung, die diese Aufführung sehenswert macht. Damit ist es eine sehr schöne Aufführung, aber keine alles in allem überwältigende.
The circumstances of the premiere can certainly not really be retrieved. But a performance at the place, the Opéra Comique in Paris, with an orchestra playing on historical instruments can certainly give some clues. The stage of this house is one of the smaller ones, so that neither large pictures are possible nor the orchestra has much space in the pit in front of it. Therefore, an intimate restriction on volume was certainly appropriate, which cannot be reliably understood on a recording. This may have made life easier for the company of singers.
Director Adrain Noble uses these circumstances to create a Spanish-inspired ambience that is not cliché-ridden. He does not go out on a limb with this, so that the staging is appropriate. While the characters are generally well directed, some of the chorus performances are too stiffly organized with overly uniform movements, and the ladies’ décolletés at the beginning are a nod to the heat at the plot location – or are they simply meant to be sexually attractive? Noble gives each of the extras a real life; they react and move like individuals.
Gardiner’s orchestral treatment results in clear and clean textures that hardly ever need reaffirmed exposition to make an impact. The edition offers some otherwise often deleted items. For instance, it includes much spoken dialogue and a somber bit of orchestral commentary during the card scene. Gardiner’s tempos are customarily fast. He tackles with appetite, detail and enthusiasm, exuding energy and sensitively underscoring the numerous nuanced passages that punctuate the action with necessary pauses for breath.
Gardiner’s chorus also deserves praise. Pronunciation, precision or expressiveness, everything is just right.
The vocal cast is homogeneous with one exception, the sensual and provocative Carmen of Anna Caterina Antonacci stands out. She is convincing as the heroine with sass, youthfulness and gaiety. These are qualities that are often eclipsed by the attributes of the femme fatale. As a free woman, she lives her passions beyond all conventions. She has a supporting charisma as well as vocal qualities and a diction, especially of the French, that simply appeals.
The other special performance is offered by Anne-Catherine Gillet with a fragile and touching Micaëla. Her not so strong, rather fine and crystal-clear voice is just ideal for this second female role in the tableau. At times she remains scenically somewhat neutral. Her Micaela is sincere and especially delightful in the first act.
Andrew Richards offers an unexceptional voice to Don José. But he makes up for it with good enunciation and theatrically very believable, human performance, which he develops organically.
Nicolas Cavallier acts with confident authority and nobility without overwhelming with charm. He plays an honest Escamillo with rough accuracy. The supporting roles are well lived with their own stature.
By making Carmen’s relationship with Don José tangible not as a tragedy but as a failed love affair in which the confrontation occurs only at the moment of their final confrontation, the actors achieve a great effect that makes this performance worth seeing. This makes it a very beautiful performance, but not an overwhelming one all in all.