Für sein aktuelles Aufnahmeprojekt hat das casalQuartett einen etwas anderen Blick auf den Jubilar Beethoven gerichtet. Es stellt drei seiner Quartette aus seinen Schaffensphasen in den Kontext mit neun jeweils nahezu zeitgleich entstandenen Werken. Diese Bezugnahme ist dabei nicht sklavisch zu verstehen. Und die anderen Werke zeigen neben anderen Großen wie Haydn, Mendelssohn und Schubert auch unbekanntere Komponisten. In drei Fällen legen sie sogar Ersteinspielungen vor. Im Heft weisen sie tabellarisch auf rund 60 zeitgenössische Komponisten und ihre Quartette hin. Ein umfangreicher Text stellt die Gestaltungsidee auch in Worten vor. Dabei werden sehr informativ die Bezüge der Künstler zueinander ebenso beleuchtet wie die Umstände der Zeit.
Die erste CD fasst Quartette von Haydn, Gyrowetz und den Erstling von Beethoven unter dem Kompositionsjahr 1799 zusammen. Gyrowetz war zu dieser Zeit ebenso geschätzt wie Haydn und die beiden auch befreundet. So war Gyrowetz‘ Agieren in London hilfreich, um Haydn von Anfang an einen gelungenen Start zu bescheren. Mit ca. 60 Quartetten schaffte er ein ähnliches Pensum wie Haydn. Auch seine Werke zeichnen sich durch gleichberechtigte Teilhabe der vier Instrumentalisten und ausgefeilte Machart aus. Doch fehlte es ihm an Ideen, eine neue Richtung vorzugeben und damit im Gedächtnis zu bleiben.
Neben dem Quartett von Gyrowetz ist das von Peter Hänsel die zweite Ersteinspielung. Neben Boccherini und dem dritten Rasumowsky Quartett von Beethoven ergibt es die zweite CD. Während Boccherini eher durch neue Besetzungen für Quintette in Erinnerung blieb, hat Peter Hänsel eine eigene Stimme in der Nähe zu Haydn und Schubert entwickelt, in der auch Beethovens Voranschreiten nachvollzogen wurde. Diese Ausrichtung ganz auf die Musik wurde auch Beethoven erst möglich, als er sich wirtschaftlich eine so gesicherte Position verschafft hatte, dass er keine Rücksichten mehr nehmen musste. Obwohl auch andere Musiker der Zeit gut bezahlte Anstellungen oder andere Einkunftsarten, wie über Verleger hatten, mussten viele sich doch anpassen. So durfte etwa Boccherini bei Hof komponierte Werke nicht publizieren. Eine derartige Situation mindert auch den Mut zu geistiger Unabhängigkeit.
Den dritten Teil eröffnet ein Werk von Donizetti, gefolgt von Beethovens op. 135 und dem d-Moll Quartett von Schubert, also Der Tod und das Mädchen. Bei Donizetti zeigt sich ein gänzlich abweichender Stil, da er seine Kompositionen vom Akkordischen her denkt, während im mitteleuropäischen Raum, wie eben bei Beethoven durchgearbeitete Thematik und Kontrapunktisches das primäre Kompositionsziel setzen.
Die beiden letzten CDs kommen ohne ein Werk von Beethoven aus, die akustischen Bezüge bleiben davon unberührt. Zwei Kompositionen gehören zum Standardrepertoire, nämlich das in a-Moll von Mendelssohn und das Dritte von Schumann. Zu guter Letzt folgt noch eine Ersteinspielung von Carl Czerny. Die beiden, aus damaliger Lebenserwartung betrachtet, beinahe zwei Generationen später Geborenen, also Mendelssohn und Schumann, gehen eigene Wege und eröffnen daraus wieder Entwicklungen für die Zukunft. Wobei gerade auch Mendelssohn in seinem Quartett mit Blick auf Beethoven Leben, Liebe und Musik in einem Werk bindet. Wieder eine andere Vorgehensweise öffnet sich bei Schumann, der, anders als etwa der Geige spielende Mendelssohn, vom Klavier kam. Sein kurzer Ausflug in die Kammermusik mit drei Quartetten zeigt, dass ihm auch diese Umsetzung gelang. Carl Czerny bildet eine Brücke zwischen dem von ihm verehrten Beethoven und dem romantisch komponierenden Mendelssohn, wobei Czerny dem anspruchsvollen Stil für ein nur von professionellen Musikern zu spielendes Werk treu bleibt, nicht ohne Zugeständnisse an die Form des Bravour-Quartetts für den ersten Geiger zu machen. So schließt der Reigen mit einem genauso ansprechenden wie auch kunstvollen Werk.
Die in der Schweiz beheimateten Musiker des casalQuartetts, sich selbst als cQ bezeichnend, geben jeder ihrer Interpretationen ein natürliches lebendiges, sozusagen elegantes, Gepräge, das ohne Effekte auskommt und trotzdem keinen Moment Langeweile zulässt. Mit handwerklicher Meisterschaft gelingt es ihnen, ein ausgereiftes und ausgeglichenes Klangbild zu gestalten, das die Musik erblühen lässt. Das cQ hat einen ausgeprägt feinsinnigen Spielstil entwickelt. Gerade das emblematische Quartett von Schubert lebt hier von der klangschön ausformulierten Linie, nicht von scharf gerissenen Akkorden oder anderen dramatisch aufgebauschten Passagen, wie man es sonst als Ausdruck des dramatischen gedanklichen Hintergrunds oft hört. Das soll nicht bedeuten, dass Akzentuierungen und Kanten in den Werken verschwinden, aber das casalQuartett spielt auch in diesen Momenten sehr sorgfältig gestaltet und ohne Druck.
Die Zusammenstellung zeigt den Weg und das Umfeld von Beethoven und verdeutlicht, dass außer ihm nicht nur Haydn in die Zukunft dachte und komponierte. Aber allen anderen fehlte das gewisse Etwas, um die gleiche Bedeutung zu erlangen wie Beethoven. Aber es zeigt auch, dass die Verengung auf einige Große auch dazu führt, dass man auch wunderbare Musik, die weder banal noch langweilig ist, versäumen würde. Welche Bedeutung die auf den Hüllen abgebildeten Waffen haben sollen, wird nicht erläutert und ist mir auch nicht verständlich. Sollen Sie als Sinnbild für die Rivalitäten stehen, die es gar nicht gab oder sind sie einfach sinnloses kriegerisches Gepräge, das meines Erachtens hier nichts zu suchen hat? Dem Rezensenten sind auch editorische Nachlässigkeiten aufgefallen. Im Beiheft wird bei der zweiten CD fälschlich das C-Dur Quartett als erstes der Rasumowsky gewidmeten Werke ausgegeben, obwohl es üblicherweise als drittes geführt wird. Und der erste Satz findet sich bei Track 8, nicht bei Track 9. Ansonsten liegt hier eine sehr gut editierte Kassette vor, wie man es sich immer wünschen würde.