Durch alle Epochen hindurch waren Literatur und Lyrik eine Inspirationsquelle für Komponisten. Auf ihrem Album Piano Poems interpretiert die Pianistin Cathy Krier Kompositionen, bei denen Worte virtuos in Musik umgesetzt wurden.  Beatrice Ballin sprach mit ihr über die Aufnahme.

Cathy Krier

Piano Poems auf Deutsch Klavier-Gedichte:  Sie spielen auf Ihrer neuen CD sozusagen vertonte Lyrik. Was hat Sie dazu inspiriert?
Als Musiker suche ich immer nach Themen und Konzepten, die als Ausgangspunkt bei der Gestaltung neuer Konzertprogramme oder CD- Einspielungen dienen. Als Pianistin habe ich das Glück, über ein riesiges Repertoire zu verfügen und trotzdem reicht es mir nicht, einfach nur ‘schöne’ Werke zu spielen, die mir gefallen! Spannend finde ich die Gegenüberstellung unerwarteter Anknüpfungspunkte, die verschiedene Herangehensweise von Komponisten mit denselben Ideen oder Formen. Das war auch die Ausgangsidee von Piano Poems: Wie sind diverse Komponisten zu verschiedenen Epochen mit dem Thema Lyrik umgegangen? Literatur und Musik waren immer eng verknüpft, aber wie haben die verschiedenen Komponisten damit gearbeitet? Darüber hinaus habe ich immer viel gelesen und fand es für mich einfach sehr spannend, dieses Thema zu erforschen.

Sie interpretieren auf Ihrem Album Maurice Ravels Gaspard de la nuit. Ravel war von dem gleichnamigen Prosagedicht des zu Lebzeiten fast unbekannten Aloysius Bertrand so fasziniert, dass er es virtuos in Noten umsetzte.  Was macht für Sie den Reiz dieser Komposition aus, die als schwer zu spielen gilt?
Maurice Ravel war ein fantastischer Komponist, der unglaublich gut für das Klavier geschrieben hat. Obwohl seine Werke meistens sehr anspruchsvoll sind, sind sie doch erstaunlicherweise physiologisch sehr einprägsam. Gaspard de la nuit war immer ein Werk, das mich faszinierte. Aber es war nicht die technische Herausforderung, die mich faszinierte, sondern die absolut phänomenale Klangmalerei und atmosphärische Gestaltung. Für mich geht es in diesem Werk nicht ums Klavier, sondern um die Materialisierung des Klangs, die perfekte Erzählung einer Geschichte, ohne jemals programmatisch zu werden.

Ähnlich wie Maurice Ravel erzählt auch Serge Prokofiev auf dem Klavier eine Geschichte, genauer gesagt ein Märchen: Cinderella. Er machte aus der literarischen Vorlage ein Ballett und schrieb parallel drei Klaviersuiten, von denen Sie op. 102 interpretieren. Wo liegt bei ihm im Vergleich zu Ravel der Unterschied in der Art des kompositorischen Erzählens?
Prokofievs Auseinandersetzung mit Perraults Märchen ist das genaue Gegenteil von Ravel! In Gaspard de la nuit erweckt Ravel die Quintessenz der Protagonisten aus Aloysius Bertrands Gedicht zum Leben. Die Wassernixe, der Galgen und der listige kleine Kobold werden in ihrer Art schillernd umgesetzt. Prokofiev hingegen entschied, ein programmatisches Werk zu schreiben. Die Cinderella-Suite op. 102 übernimmt jeweils die großen Stationen aus Perraults Märchen und beschreibt sie musikalisch. Zu jeder dieser Station gibt es ein definiertes Stück, so kann der Zuhörer, der die Geschichte Cinderellas kennt, sich immer in der Erzählung wiederfinden.

Zu dem umfangreichen Werk von Franz Liszt zählen Klavier-Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten. Dazu gehören auch seine zahlreichen Transkriptionen von Franz Schuberts Liedern. Sie haben aus dieser Fülle drei Werke, nämlich Gretchen am Spinnrade, Ständchen und Die Stadt für Ihr Album ausgewählt.  Was hat Sie dazu bewogen?
Wenn man über Lyrik in der Musik nachdenkt, sind Schuberts Liederzyklen natürlich ein Muss. Spannend ist, dass Liszt mit seinen Transkriptionen zwei Aspekte bedient: Erstmals werden durch die Transkription für Klavier solo, also ohne Stimme, diese Lieder zu Liedern ohne Worte. Der Pianist wird zum Sprecher und übernimmt beide Rollen: die des Sängers und seines Begleiters. Ziel ist es, die wunderbaren Verse von Rellstab, Heine und Goethe zum Leben zu erwecken. Die Assoziation dieser Gedichte ist doch so stark in uns verankert, dass man sie trotzdem im inneren Ohr hört.
Hinzu kommt die hochspannende Position von Liszt. Franz Liszt sieht sich nicht als Schöpfer einer künstlerischen Idee, sondern als Medium zur Verbreitung dieser wunderbaren Musik. Er transkribiert Musik, die er offensichtlich toll findet und bewundert, um sie auf seinen Konzertreisen vorzutragen und bekannter zu machen. Seine Absicht ist es jedoch nicht, die Musik so textgetreu wie möglich wiederzugeben. Die Idee eines romantischen Virtuosen steht weiter im Mittelpunkt. Dementsprechend schmückte Franz Liszt viele seiner Bearbeitungen mit Ornamenten und akrobatischen und brillanten Kadenzen, um sich selbst als Pianisten in Szene zu setzen.

Der Komposition Ithaca aus dem Jahr 2023 liegt das gleichnamige Gedicht des griechischen Lyrikers Konstantinos Kaváfis zugrunde.  Hierin thematisiert er metaphorisch die zehnjährige Irrfahrt von Odysseus. Die Komponistin Konstantia Gourzi beschränkte sich nicht auf Klaviernoten allein, sondern schrieb auch den Einsatz von Superballs, Klangschalen und Edelsteinen auf den Klaviersaiten in die Partitur. Ist das – auch in manueller Hinsicht – eine Herausforderung für einen Pianisten?
Sobald man sich als Pianist von der Tastatur entfernt, steht man vor einer Herausforderung, weil man das Innenleben des Flügels nicht so gut kennt und sich nicht so schnell zurechtfindet. Aber ich mag und suche diese Herausforderung. Mir macht es Spaß, nach neuen Klangfarben zu suchen. Wenn das heißt, das sich dadurch manchmal zum Baumarkt fahren muss, weil ich extra Klebeband brauche, mich über die verschiedenen Durchmesser von Klangschalen und den daraus resultierenden Vibrationen klug machen muss oder viele kleine Sticker beschrifte, um die Saiten präzise markieren zu müssen, finde ich das eine tolle Abwechslung.

Cathy Krier (c) Martine Pinnel

Neben den zu Klaviermusik vertonten Gedichten interpretieren sie auch ein Werk, das nicht auf Worten, sondern auf einer optischen Momentaufnahme basiert: Murmuration, das die luxemburgische Komponistin Catherine Kontz 2022 für Sie geschrieben hat. Worum geht es dabei?
Catherine Kontz erforscht in Murmuration die transformative Kraft poetischer Wahrnehmung. Sie hat ein poetisches Bild vertont, welches viele Poeten beschrieben haben. Der Begriff Murmuration (engl.) bezieht sich auf das Phänomen der Vogelschwärme, die sich kurz vor ihrer Migration in den Süden wie durch Magie zu unendlich zahlreichen und poetischen Formationen am Himmel bewegen. Mich interessierte in diesem Werk Catherine Kontz‘ vollkommen anderer Zugang zur Poesie. Sie beschreibt das poetische Bild, aber nicht in der Wahrnehmung eines Dichters, sonders in seiner Urform, ohne äußerliches Eingreifen.

Planen Sie mit dem Programm Ihrer neuen CD einen Konzertabend zu gestalten?
Natürlich! Ich habe das Programm der CD am 6 Mai 2024 zum ersten Mal im Kammermusiksaal der Luxemburger Philharmonie gespielt. An dem Abend wurde auch Konstantia Gourzis Ithaka uraufgeführt, und ich fand besonders schön, dass sowohl Konstantia, als auch Catherine Kontz anwesend waren. Es ist immer besonders, Komponisten im Saal zu haben.

Sie kommen aus einer musikaffinen Familie und haben bereits im Alter von fünf Jahren das Konservatorium der Stadt Luxemburg besucht. Ab ihrem 14. Lebensjahr gehörten Sie der Meisterklasse von Pavel Gilliov an, mit 15 gaben Sie ihr erstes großes Konzert, Beethovens 4. Klavierkonzert mit dem Latvian Philharmonic Chamber Orchestra. Kurz: Die Musik bestimmte von Kindesbeinen an Ihr Leben. Haben Sie jemals das Bedürfnis verspürt, auszubrechen oder zu rebellieren?
Eigentlich nicht. Ich war immer fasziniert von Musik, und habe viele andere Sachen gemacht. So habe ich lange auch viel Ballett getanzt. Ich hatte das Glück in einem schon anspruchsvollen Elternhaus aufzuwachsen, in welchem aber nie Druck herrschte. Meinen Eltern war es wichtig, dass wir Kinder unser Bestes geben und nicht sofort aufgeben, aber es ging nie darum DIE Beste zu sein. Ich hatte immer das Gefühl frei entscheiden zu können. Bestimmt wären meine Eltern enttäuscht gewesen, wenn ich mich entschieden hätte, andere Wege zu gehen, aber ich weiß, dass sie es respektiert hätten. Zwar habe ich in jungen Jahren bestimmt weniger gefeiert und war fokussierter, aber ich habe viele andere Sachen erlebt, die viele Menschen nicht erleben. Es ist toll, wenn man mit 15 Jahren vor einem Orchester sitzt und mit Konzerten reisen kann. Dieses Glück haben nicht viele Menschen!

Hätte es für Sie ein alternatives Instrument zum Klavier gegeben?
Nein! Als Kind hatte ich eigentlich mit der Geige angefangen. Mein Vater wollte aber nicht, dass ich im Sitzen übe und so habe ich dann Klavier mit meiner Mutter angefangen. Sehr schnell habe ich mich am Instrument pudelwohl gefühlt. Die Möglichkeiten des Klaviers sind einfach fantastisch. Wir haben ein ganzes Orchester unter den Fingern!

Cathy Krier mit herausragenden Interpretationen

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