Was verbindet Cleopatra, Norma, Cenerentola, Iphigénie und Maria?
Zunächst einmal ganz simpel: es sind Frauen – wie die Künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele! Als erste Frau in dieser Position liegt es mir natürlich am Herzen, gewisse Dinge aus einer solchen Perspektive zu zeigen.
Insbesondere ist jede dieser Figuren exemplarisch für bestimmte Facetten der Frau und wie man sie über die Jahrhunderte in der Kunst thematisierte und verschieden beleuchtete. Da die Künstler in der Regel Männer waren und sind, ergeben sich vielsagende Reflexionen und Brechungen – oft scheint mir, wir lernen mehr über den rezipierenden Mann, als über das weibliche Vorbild… In wenigen Tagen und durch verschiedenste Sparten und Zeiten hindurch diesen Frauenfiguren und ihrem Umfeld nachzuspüren, ist seit nunmehr fünf Jahren das Programm meiner Pfingstfestspiele.
Frau Bartoli, im Programmbuch zu den Salzburger Pfingstfestspielen sagen Sie, dass Sie sich auf die Rolle der Maria freuen wie ein kleines Kind?
Ich finde das Stück und die Musik fantastisch – es gehört für mich zu den allergrößten Bühnenwerken des 20. Jahrhunderts! Ich liebe die Energie, den Rhythmus, den mitreißenden Schwung, das Latino-Temperament, den witzigen Text, die aufrichtige, erschütternde Trauer … irgendwie bricht da wohl meine Flamenco-Vergangenheit durch, auch wenn wir uns hier in einen anderen Stil begeben. Da ich die Songs aus ‘West Side Story’ mein ganzes Leben kenne, sind sie mir näher als viele andere Musik. Nach all den Königinnen, Göttinnen, antiken Heldinnen und Märchenprinzessinnen freut es mich ganz besonders, einmal ein Mädchen wie du und ich darstellen zu dürfen. Denn auch die Figur der Maria, das einfache, gutherzige, ernsthafte, verträumte und ehrliche Mädchen aus der Nachbarschaft, ist mir persönlich sehr nah. So war ich selber einmal! Und so bin ich im Grunde meines Herzens immer noch.
Man wird Sie zum ersten Mal in ‘West Side Story’ erleben – was reizt Sie an diesem Genre Musical?
Im Zusammenhang mit West Side Story möchte ich gar nicht von Musical sprechen. Wie auch Candide befinden sich Bernsteins Bühnenwerke in einem eigenen Zwischenbereich zwischen Oper, Operette und Musical: Stilistisch integrieren sie zwar schon die damals aktuellen Tendenzen der Unterhaltungsmusik und des Jazz, in jedem Fall aber auch der Klassik und sogar der Neuen Musik! Die hochkomplexe Orchesterpartitur und viele der stimmlich anspruchsvollen Solopartien können nur von klassisch ausgebildeten Leuten bewältigt werden – das hat ja Bernstein selber mit seiner legendären Aufnahme bewiesen, wozu er Kiri Te Kanawa, José Carreras, Tatiana Troyanos und Marilyn Horne holte. In unserer Wahrnehmung sind dies zwar Opernsänger par excellence. Doch alle bewahrten sie dank ihrer Herkunft ihr Leben lang ein lebhaftes Interesse und eine große Liebe zu Schlagern, Pop, musikalischer Komödie oder Volksmusik und wagten immer wieder Ausflüge in diese Bereiche. Die Troyanos war sogar in dem turbulenten New Yorker Viertel aufgewachsen, wo das Stück spielt, kannte also die Verhältnisse am besten von allen. Wenn man – wie übrigens ich selber – neben der Klassik auch mit solchen Genres aufgewachsen ist, fallen einem die Natürlichkeit in Ausdruck, Gesang und Spiel sowie die Beherrschung von Dialog und Tanz leicht. Ich bin sehr dafür, dass man zugibt, dass die Übergänge zwischen den Genres fließend sind. Lange Zeit waren auch in Mitteleuropa die Grenzen zwischen Oper, Operette und sogar Schlager viel weniger streng gezogen als heute. Eigentlich war das früher sehr bereichernd!
Was bedeutet die ‘West Side Story’ heute bzw. in der heutigen Gesellschaft?
Das Thema der Pfingstfestspiele ist ‘Romeo und Julia’ – das ewige Sujet der utopischen Liebe, die versucht, gesellschaftliche Hürden zu überwinden, letztendlich jedoch scheitert. Dazu gehören dann auch wichtige Motive wie das Ungestüme und die Unbeschwertheit der Jugend im Gegensatz zur durch Regeln erstarrten, unerbittlichen Welt der Erwachsenen. Und natürlich von Anfang an auch generelle Fragen nach Geschlechterrollen, sozialen Unterschieden, gegenseitigem Respekt, Integration usw.
Der Film mit Natalie Wood und Richard Beymer sowie die CD-Aufnahme mit Kiri Te Kanawa und José Carreras sind Meilensteine in der Rezeption dieses weltweit erfolgreichen Werks. Welche neuen Facetten werden Sie und ihr Produktionsteam 2016 dieser Story geben? Wie werden Sie die Geschichte erzählen? Welche Akzente sind Ihnen besonders wichtig?
Der Film sowie die CD-Aufnahme zeigen wirklich, wie breit die Möglichkeiten dieses Werkes von Anfang an gesehen wurden: Im Film werden die Lieder nicht von den Schauspielstars gesungen, sondern von Sängern hinter den Kulissen. Die Aufnahme mit erfahrenen Opernsängerinnen und –sängern erlaubte es hingegen, viele musikalische Ideen des Komponisten umzusetzen und dem Stück eine gewisse, der Ernsthaftigkeit des Stoffes entsprechende Gewichtigkeit zu verleihen.
Auch in Salzburg möchten wir der Partitur Bernsteins allergrößte Aufmerksamkeit schenken und haben daher ein Team zusammengestellt, das alle Aspekte vereint: im Blut eine unbändige Energie und lateinamerikanische Rhythmen, Virtuosität und Flexibilität, eine Nähe und Liebe zum Idiom, sowie da, wo es die Partien erfordern, eine große Erfahrung mit amerikanischem Musiktheater.
Gleichzeitig machen wir natürlich auch Theater. Unser internationales Creative Team besteht aus Leuten, die gleichermaßen Erfahrung im Showbusiness wie auf der Theaterbühne haben. Unsere Aufführung soll eine Balance herstellen zwischen der musikalischen und der szenischen Seite des Werks. Vor allem soll es das Publikum begeistern und berühren, so, als erlebte es die ‘West Side Story’ zum ersten Mal!
WEST SIDE STORY
Neuinszenierung
Musical in 2 Akten
Nach einer Idee von Jerome Robbins
Buch: Arthur Laurents nach der Tragödie
Romeo and Juliet von William Shakespeare
Musik: Leonard Bernstein
Gesangstexte: Stephen Sondheim
Uraufführung: 26. September 1957, New York
Gustavo Dudamel, Musikalische Leitung
Philip Wm. McKinley, Regie
George Tsypin, Bühne
Ann Hould-Ward, Kostüme
Patrick Woodroffe, Licht
Alois Glaßner, Choreinstudierung
Cecilia Bartoli, Maria
Norman Reinhardt, Tony
Karen Olivo, Anita
George Akram, Bernardo
Cody Green, Riff
Cheyne Davidson, Doc
West Side Story Ensemble
Salzburger Bachchor
Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela
Premiere: Freitag, 13. Mai, 20:00, Felsenreitschule
Sonntag, 15. Mai, 15:00, Felsenreitschule
Wiederaufnahme bei den Salzburger Festspielen:
Premiere: 20. August
5 weitere Aufführungen: 21., 23., 25., 27., 29. August