Von allen Musikern, die ich bei einem rezenten Festivalbesuch in Gniezno und Poznan hörte, ist mir der Brite Jacob Shaw (*1988) wegen seines außergewöhnlichen Charismas in Erinnerung geblieben. Seine Debüt-CD bestätigt diese guten Eindrücke voll und ganz, mehr noch, er offenbart sich damit als ein sehr persönlicher Interpret, in völliger Harmonie mit dem Pianisten José Gallardo, der in den Brahms-Sonaten entsprechend der Besetzungsvorschrift durchaus nicht die zweite Rolle spielt. Beide Künstler demonstrieren hier ein hohes Maß an Übereinstimmung und zeigen, dass sie die Musik in Kopf und Fingern haben. Partnerschaftliches, genau aufeinander hinhörendes Musizieren ist hier großgeschrieben.
Jeder, der die erste Cellosonate von Johanes Brahms gut kennt, wird bei dieser Interpretation seine Auffassung zurechtrücken müssen. Das Drama tritt im ersten Satz nicht so deutlich hinter nostalgisches Schwärmen zurück wie bei Rostropovich, es wird aber auch nicht so virtuos und drängend wie bei manchen anderen Interpreten. Shaw und Gallardo versenken sich knorrig-grüblerisch und nicht selten fast wie widerwillig in tiefe Gefühlswallungen zwischen Verbitterung und lyrischem Schwelgen. Hier wird nichts übertüncht, sondern die Gefühle werden unverhüllt zum Ausdruck gebracht. Das könnte erklären, dass Brahms selber nach dieser Musik vielleicht erschrocken genug war, um zu glauben, ein Adagio könne er nach einem solchen Satz nicht schreiben – den Clara Schumann dann so sehr vermisste. Stattdessen komponierte er ein kurzes Allegretto quasi menuetto, sozusagen, um die Atmosphäre erst einmal zu reinigen. So jedenfalls wirkt es nach der Tour de force des ersten Satzes in dieser Interpretation. Das Spannende ist dann, wie Shaw und Gallardo den sperrigen dritten Satz zielbewusst steigern.
Nicht weniger spannend gerät die Sonate op. 99, deren musikalische Dialektik zwischen Leidenschaft und Zartheit wunderbar herausgearbeitet wird. Das Adagio enthält genau so viel Affettuoso, um nicht ins Sentimentale zu kippen und auch etwas unwirschen Gesten mit einem deutlich ‘ach was’-Charakter ihre Berechtigung zu geben. Der erste Teil des Allegro Passionato wird in der Folge ganz logisch transparent und klar, denn er wirkt bei Shaw und Gallardo wie das unfrohe Aufräumen der Gefühle, die sich dann im Mittelteil durchaus gefasst präsentieren und ein eindeutigeres Ende erlauben, das dem Allegro molto zustrebt und es logisch vorbereitet, als Epilog!
Dass Jacob Shaw für seine Debut-CD die dritte Suite von Benjamin Britten ausgewählt hat, zeigt, dass er nicht auf Effekt aus ist, sonst hätte er die brillantere Erste Suite gespielt. Hier versenkt er sich völlig in die emotionale Klangwelt des Komponisten. Die langsame Einleitung ist schon zwingend, aber das Fantastico des 7. Satzes ist atemberaubend und wird im anschließenden Perpetuo moto in unerhörtem Klangreichtum fortgesetzt. Die lange Passacaglia, in der Britten das Russische Totengebet, das Kontakion, die Hymne für die Toten einbaut, ist ergreifend in ihrer Intensität, aber sie wird kaum je in ihren fast zwölf Minuten zur Klage, denn Shaws Spiel scheint eher in Fatalismus zu machen.
Die fünf Miniaturen geben dann dem jungen Cellisten die Gelegenheit, sein ganzes Können sowohl im Kantablen wie im Virtuosen unter Beweis zu stellen.