Ein guter Rezensent soll ein Schätzgräber sein; er soll aus den vielen qualitativ meistens hochwertigen Einspielungen jene herausfiltern, die in irgendeiner Hinsicht etwas ganz Besonderes oder Außergewöhnliches darstellen und dabei versuchen, künstlich aufgebauten Blendern wie dem inzwischen zu einem Klischee gewordenen Lang Lang nicht auf den Leim zu gehen.
Ein Schatz ist diese Aufnahme der beiden Chopin-Klavierkonzerte mit der Pianistin Ekaterina Litvintseva und der Klassischen Philharmonie Bonn unter Heribert Beissel.
Ekaterina Litvintseva spielt diese beiden Konzerte mit einer entwaffnenden Schönheit und einer schier nie nachlassenden Konzentration, so dass jede Note quasi ein Eigenleben führt und sich dabei trotzdem als Teil eines ganzen musikalischen Kosmos versteht. So bleibt die melodische Linie durchgehend erhalten und hilft Chopins Musik, sich konsequent und logisch zu entwickeln. Aber damit nicht genug. Die junge Pianistin erlaubt sich, die in vielen Einspielungen eher begrenzte Farben- und Emotionspalette kräftig aufzumischen und ein ganz neuen Klanggefühl für diese beiden Konzerte zu entwickeln.
Somit bekommt Chopins Musik eine ganz neue Dimension des Ausdrucks, sie wirkt leichtfüßig und brillant. Die vielen Tempowechsel werden flüssig gespielt und heikle Passagen sehr elegant gelöst. Das Temperament der Pianistin führt zu einer sehr lebendigen Wiedergabe mit einer quasi improvisatorischen Leichtigkeit. Doch es sind immer wieder diese unsagbar schönen Momente, die Ekaterina Litvintsevas Interpretation auszeichnen. Wann hat man die beiden langsamen Mittelsätze mit einer solch emotionalen Tiefe und stimmigen Aussage gehört wie hier?
Dass die Pianistin aber so frei aufspielen kann (es handelt sich bei beiden Konzerten um Live-Aufnahmen) liegt an der präzisen Begleitung von Heribert Beissel, der es zudem immer wieder fertigbringt, seinen Musikern der Klassischen Philharmonie Bonn wunderbare Soli zu entlocken und seine Interpretation immer sehr musikantisch auszulegen. Manchmal hat man sogar den Eindruck, als würden Solistin und Orchester miteinander tanzen. Diese vollkommene Harmonie zwischen Litvintseva, Beissel und dem Orchester führt dann auch dazu, dass der Hörer es hier mit einer absolut herausragenden Einspielung dieser beiden zum Teil recht heiklen Klavierkonzerte zu tun bekommt, die es hundertprozentig verdient, im Regal neben den Referenzen von Lipatti, Pires, Biret oder Zimerman zu stehen.