Der argentinische Pianist Nelson Goerner, so wird gesagt, sei ein Poet am Klavier. Aber er weiß auch Gefühl mit Intellekt zu verbinden, so dass sein Spiel nicht rührselig wird. Das zeigt diese neue Gesamtaufnahme der »Nocturnes von Frédéric Chopin. Hinzu kommt, dass der Pianist die einzelnen Nocturnes sehr gut differenziert, und das tut er farblich, mit fein ausgeklügelter Rhythmik und einer großen dynamischen Bandbreite, wobei ganz besonders die phänomenalen leisen Stellen bewegen.
Wo steht Goerner im Spektrum der Interpretationen? Er ist oft dramatischer als Yundi Li, und damit weniger verträumt (aber nicht so dramatisch wie Hamelin), er ist nicht so intimistisch wie Pires, nicht so melancholisch wie Tatia Shebanova, nicht so beseelt wie Nelson Freire, nicht so schnell wir Angela Hewitt. Er ist weniger kühl als Muraro, er ist weniger lyrisch, aber auch weniger affektiert als Roger Woodward. Nelson Goerner spielt eigentlich mittig und gleichzeitig in der obersten Liga. Und dennoch ziehe ich Yundi Li vor. Vielleicht auch Pires.