Frau Karg, Sie debütieren bei der diesjährigen Baden-Baden-Gala als Susanna in Mozarts ‘Figaro’. Was macht für Sie die Aktualität gerade dieser Oper aus?
Mozarts Opern sind immer aktuell, und werden es wohl auch immer bleiben. Dass die Menschen sich in diesen Geschichten und Figurenkonstellationen in allen Zeiten wiederfinden, liegt wohl daran, dass Mozart universelle Themen behandelt. Es sind zwischenmenschliche Beziehungen, die Da Ponte genial in wundervolle Geschichten einbettete und die Mozart unnachahmlich in Musik umsetzte. Im ‘Figaro’ werden die Probleme der Stände und Klassenunterschiede sowie der Rollenverteilung genauso amüsant und kritisch behandelt wie auch die menschliche Schwächen und Tugenden. Am Ende bleibt die Weisheit, dass die Liebe keine Unterschiede kennt und über allem steht.
In Baden-Baden erlebt das Publikum den ‘Figaro’ in konzertanter Form. Ist das musikalisch und sängerisch ein Vorteil gegenüber einer szenischen Aufführung?
Im Prinzip bin ich kein Freund von konzertanten Aufführungen, weil Oper nun einmal Musiktheater ist und somit auf die Opernbühne gehört. Inszenierung, Maske, Requisiten, Personenregie, das gehört genauso zur Oper wie die Musik und der Gesang. Nur so kann man Oper als Ganzes, als Gesamtkunstwerk erleben. Ich muss allerdings zugeben, dass die konzertante Form auch ihre Vorzüge hat, vorausgesetzt, man kennt seine Partner und hat die Figur im Kopf. Dann nämlich kann man im Ensemble sofort zu den Feinheiten übergehen und die Nuancen herausarbeiten. Insgesamt kann man bei der konzertanten Form viel präziser singen, weil das Interagieren fehlt und man nicht Gefahr läuft, sich emotional in die Handlung hineinzusteigern. Der Eifer, den man in der szenischen Aufführung zu Tage legt, geht gerne auf Kosten der Präzision und musikalischen Feinarbeit.
Sie sagen, man muss seine Partner kennen. Wie wichtig sind Ihre Sängerpartner bei einer Opernproduktion für Sie?
Es ist ganz, ganz wichtig und für das Gelingen einer solchen Produktion unbedingt notwendig, dass man sich unter Kollegen gut versteht. Und ich muss sagen, meistens ist das auch so. Wenn man an einer Produktion, besonders an einer szenischen, arbeitet, ist man ja lange Zeit zusammen. Wir proben jeden Tag, und das sechs Tage die Woche. Das ist eine sehr intensive Zeit, wo man nicht nur zusammen arbeitet, sondern auch zusammen essen geht oder sich in der wenigen Freizeit trifft, die einem zur Verfügung steht. Und je länger man im Opernbetrieb tätig ist, desto leichter fällt einem das, denn oft sind es dieselben Kollegen, denen man hier und dort wiederbegegnet. Ich bin zum Beispiel sehr glücklich, jetzt in Baden-Baden wieder auf alte Bekannte zu stoßen. Unter dem Dirigenten Yannick Nézet-Séguin habe ich schon Zerlina im ‘Don Giovanni’ in Salzburg gesungen, und ich freue mich riesig, mit Luca Pisaroni, den ich als Sänger und Mensch ungemein schätze, zusammenarbeiten zu können. Darüber hinaus hilft Luca uns Nicht-Italienern oft mit der italienischen Sprache und den Betonungen. Auch freue ich mich auf Anne-Sophie von Otter, die ich sehr gut kenne, und die in Baden-Baden die Marzelline singt.
Bei dieser Baden-Badener Figaro-Produktion wird Yannick Nézet-Séguin das ‘Chamber Orchestra of Europe’ dirigieren. Auf ihrer rezenten Arien-CD ‘Scene’ werden Sie von Arcangelo, einem auf historischen Instrumenten spielenden Ensemble begleitet. Singt und phrasiert man bei einem klassisch besetzten Orchester anders als bei einem Orchester mit historischen Instrumenten?
Ja, es ist schon etwas verschieden. In der historischen Aufführungspraxis arbeiten wir ja nicht mit einem Stimmton von 440 Hz sondern nur von 430 Hz. Durch das vielleicht dynamischere, akzentreichere Orchesterspiel phrasiert man als Sänger schon etwas barocker. Trotzdem ist das Singen bei 430 Hz entspannter. Aber wenn wir uns die Rezeptionsgeschichte der Mozart-Interpretation ansehen, so merkt man doch, wie viele Möglichkeiten wir heute haben, seiner wundervollen Musik zu begegnen. Ich selbst bin da relativ offen. Jede Sichtweise, soweit sie musikalisch vertretbar ist, ist unheimlich spannend und man kann dabei selbst so viel an sich entdecken. Ich jedenfalls, will mich da auf keinen Stil festlegen.
Nach Ihrem Debut 2006 in Salzburg ist es mit Ihrer Karriere sehr schnell aufwärtsgegangen. Heute, neun Jahre später, sind Sie freiberuflich und gehören keinem festen Ensemble mehr an. Ist denn nicht gerade die Opernerfahrung in den ersten Jahren in einem festen Ensemble von enormer Wichtigkeit?
Ich denke, jeder Sänger muss für sich entscheiden, welchen Weg er einschlagen will. Für mich waren die Ensemblejahre jedenfalls sehr wichtig. Und, wie Sie sagen, soll ein junger Sänger zuerst in einem Ensemble singen und sich ausprobieren. Nur dort hat man die Möglichkeit, so viele Rollen zu singen. Es ist sehr viel und eine sehr harte Arbeit, aber sie schärft die Flexibilität. So kann es sein, dass du morgens vor der Partitur sitzt und dir Bellini ansiehst, nachmittags probst du Haydn und abends singst du Mozart. Diese Flexibilität hat mir jedenfalls sehr geholfen, Druck abzubauen. Auch kann man die Arbeit in einem Ensemble sehr gut mit dem alltäglichen Leben vereinbaren. Morgens putzt man oder man geht einkaufen, dann geht es zur Arbeit, also zur Probe, abends singt man und schläft dann zuhause in seinem eigenen Bett. Arbeitet man freiberuflich, ist das Leben ein ganz anderes.
Ihre rezenten Auftritte beinhalten die Sophie im ‘Rosenkavalier’, den Baden-Badener ‘Figaro’, Bachs Matthäus-Passion in Verbier und Liederabende beim Schleswig-Holstein Festival und in Salzburg. Wie gehen Sie bei der Auswahl Ihres Repertoires vor, resp. wie planen Sie die jeweilige Spielzeit?
Was die Auswahl betrifft, so lasse ich mich von der Entwicklung meiner Stimme leiten. Das ist aber nicht so einfach. Momentan muss man insbesondere im Opernbetrieb bereits drei bis vier Jahre im Voraus planen. Das hängt damit zusammen, dass Oper eine sehr lange Vorbereitungszeit braucht und von den Häusern auch sehr präzise geplant werden muss. Erst wenn die Inszenierung steht, und gute Inszenierungen brauchen eine lange Ausarbeitungsphase, kommen wir Sänger quasi in der Schlussphase hinzu. Allerdings wurden wir schon am Beginn des Projektes gebucht. Somit sind auch die Opernprojekte die Säule meiner Arbeit, wobei ich aber betonen will, dass ich pro Spielzeit nicht mehr als bei drei Produktionen mitwirke. Dann kommen noch die Konzerte hinzu und schließlich die Liederabende, die am einfachsten einzuplanen sind, weil ja nur zwei Künstler beteiligt sind. Und, obwohl immer behauptet wird, das Lied sei tot, kann ich mich vor Liederabenden kaum retten. Auch diese plane ich im Paket, das heißt, ich mache höchstens vier verschiedenen Programme mit insgesamt fünfzehn bis zwanzig Konzerten pro Jahr, wobei ich bei jedem Projekt immer mit dem gleichen Pianisten zusammenarbeite.
Kürzlich haben Sie dann auch eine Reihe von Liederabenden gegeben, auf denen ausschließlich Lieder von Richard Strauss standen. Strauss hatte ja eine große Vorliebe für die weibliche Stimme. Wie merkt man das in seinen Opern und Liedern?
Momentan nähere ich mich der Musik von Strauss nicht über das dramatische Fach, also nicht über eine Salome oder Elektra, sondern vielmehr über die lyrische Seite einer Sophie, Arabella oder Daphne. Auch hier folge ich der Entwicklung meiner Stimme, die für die großen dramatischen Partien sicher noch nicht bereit ist. Den Männern hat Strauss immer ein großes Orchester gegenübergesetzt, die Frauen verwöhnt er allerdings mit wunderschönen Melodien, einem mitreißenden lyrischen Ausdruck und unendlich vielen Farbschattierungen. Das schönste Beispiel, wie wundervoll Strauss Frauenstimmen einsetzen konnte, ist das Terzett im letzten Akt vom ‘Rosenkavalier’. Hier verschmelzen die Stimmen der drei Hauptprotagonisten zu einer überirdischen Schönheit und trotz sehr verschiedener Stimmlagen ist plötzlich nicht mehr zu erkennen, wer was singt. Dieses Terzett ist in der Musikgeschichte einmalig und zeigt, welch großartiger Komponist und Stimmkenner Strauss doch war. Er komponiert einfach wunderbare und sehr lange Bögen und bringt die Musik in allen Hinsichten zum fliessen. Für mich als Sängerin ist es immer ein Hochgenuss, die Musik von Richard Strauss zu singen.
Und das gilt auch für seine Lieder?
Ja, denn seine Lieder sind oft Studien zu seinen Opern, und er arbeitet darin mit ähnlichen Mitteln. Allerdings ist Strauss in seinen Liedern sehr vielschichtig und oft auch sehr dramatisch und modern.
Was zeichnet denn eine richtige Strauss-Sängerin aus?
(lacht) An erster Stelle muss sie wohl über einen sehr langen Atem verfügen. Und über eine wahnsinnig gute Technik. In verschiedenen Momenten steht man als Sängerin wirklich nackt da. Und dann müssen die Stimme und der Gesang da sein. Mit Strauss verhält es sich ähnlich wie mit Mozart. Sehen Sie sich verschiedene Arien von Pamina oder der Contessa, die stehen Strauss in Sachen Schwierigkeitsgrad in nichts nach. Hier wie dort darf man auf keinen Fall forcieren, sonst verliert man die Leichtigkeit. Eine Strauss-Sängerin soll zudem über eine gute Mittellage und eine strahlende, schwebende Höhe verfügen.
Heute ist es ja allgemein bekannt, dass talentierte Musiker, insbesondere Sänger, gerne schnell verheizt werden und gerade als freischaffende Künstler Rollen angeboten bekommen, die wirklich gefährlich sein können. Wo setzen Sie Grenzen?
Wie ich vorhin schon gesagt habe: Meine Stimme sagt mir, was ich singen kann und was nicht. Momentan bin ich sehr glücklich mit der Susanna aus ‘Figaro’, der Sophie aus dem ‘Rosenkavalier’ und der Mélisande. Für jede Partie gibt es seine Zeit. Dann soll man sie auch singen. Für mich ist es sehr wichtig, schrittweise, also im Rhythmus von drei Jahren, zu planen. Und meine großen Vorbilder Edith Mathis, Lucia Popp und Barbara Hendricks haben sich nie dazu verleiten lassen, Rollen zu singen, die nicht zu ihren Stimmen passten. Zeitgenössische Musik würde ich sehr gerne machen, aber ich habe momentan nicht die Zeit dafür. Diese Musik verlangt eine sehr lange Vorbereitungszeit, besonders bei mir, weil ich keine Erfahrung auf diesem Gebiet habe. Und wenn man sich mit zeitgenössischer Musik beschäftigt, dann muss man das hundertprozentig tun. Sonst erweist man der Musik und auch dem Komponisten keinen Dienst.
Es gibt einige Sänger und Sängerinnen wie Edita Gruberova, Ernst Haefliger oder Peter Schreier, die die Frische in Ihrer Stimme bis ins hohe Alter bewahren können. Gibt es dafür goldene Regeln?
Sie haben Placido Domingo vergessen, obwohl der jetzt eher Bariton-Partien singt. Ich denke, diese Sänger haben immer gut auf ihre Stimme aufgepasst und nie ihre Grenzen überschritten. Die Stimme der Gruberova, die ich sehr bewundere, klingt noch immer sehr jung, obwohl sie schon siebzig ist. Und die meisten, Domingo vielleicht ausgenommen, haben nie ausschliesslich Oper, sondern immer sehr viel Konzerte und Liederabende gesungen. Ich denke, gerade durch die vielen Liederabende haben sie gelernt, ihre Stimmen in der Oper nicht zu überstrapazieren und haben vielmehr darauf geachtet, die Stimme zurückzunehmen. Weniger ist manchmal viel mehr.