Herr Eschenbach, Sie leiten jetzt die große Europatournee mit dem ‘National Symphony of Washington’. Auf was muss man bei der Vorbereitung einer solchen Tournee besonders aufpassen?
Gerade bei einer Tournee muss man als Musiker sehr gut vorbereitet sein. Das Orchester muss Lust haben, Musik zu machen. Deshalb ist es vorrangig, dass wir die Werke im Vorfeld so intensiv vorbereiten, dass wir ein erstklassiges Spiel garantieren können. Auf eine Tournee weiß jeder, dass das Beste von ihm verlangt wird. Und die Musiker sind dann auch mental bereit, in dieser Zeit wirklich über sich hinauszuwachsen, ihr Allerbestes zu geben und das Publikum mit ihrem Spiel zu entzücken.
Und wie gehen Sie bei der Programmauswahl vor?
Es ist ja so, dass wir eine Tournee lange im Voraus vorbereiten und spezielle Programme erarbeiten. Für diese Tour haben wir beispielsweise drei verschiedene Programme erarbeitet, die wir den Veranstaltern dann anbieten. Und er kann sich dann das Programm auswählen, das ihm am besten gefällt oder was am besten in die laufende Spielzeit passt.
Ein Werk, das Sie im Programm haben ist ‘Phaeton’ des amerikanischen Komponisten Christoper Rouse. Ein Stück, das Sie bereits vor Jahren auf einer Europa-Tournee mit dem Houston Symphony Orchestra gespielt und das Sie ebenfalls auf CD aufgenommen haben.
Ja, Christopher Rouse ist ein Lieblingskomponist von mir. Er komponiert unheimlich starke Musik voller dramatischer Kraft. ‘Phaeton’ ist in diesem Sinne ein absolut aufregendes Werk; typisch amerikanisch und fantastisch als Konzerteinstieg geeignet.
In Ihren Konzerten und auch bei Ihren Aufnahmen erlebt man immer wieder eine Art von Klangzauber, der sich bei jedem Werk verändert. Wie wichtig ist der Klang als Ausdrucksmittel für Sie als Dirigent?
Klangvorstellung ist gleich Farbenvorstellung. Jedes Werk besitzt seine eigene Farbenpalette und mit Hilfe der Klanggestaltung kann man diese je nach Wunsch offenlegen. Das Spiel mit den Farben kommt einer Entdeckungsreise gleich, allerdings stehen Klang und Farben immer in direktem Bezug zur Phrasierung. Man kann also sagen, dass Phrasierung, Klang- und Farbenvorstellung Hand in Hand gehen. Eine allgemein gültige Klangvorstellung gibt es nicht. In einer Symphonie beispielsweise besitzt jeder Satz eine andere Klangwelt. Am deutlichsten wird das, wenn man beispielsweise ein Presto mit einem Adagio vergleicht. Da muss ich als Dirigent immer ein individuelles Klangbild anstreben, weil ich eben auch in einem Adagio ganz anders phrasieren muss als in einem schnellen Satz. Es gibt allerdings verschiedene Werke, wie die 5. Symphonie von Tchaikovsky oder die 7. Symphonie von Beethoven, die es durch ihre Architektur ermöglichen, einen Gesamtklang zu erarbeiten, der das ganze Werk durchzieht.
Sie waren einer der wenigen Schüler des großen Dirigenten Georg Szell. Was haben Sie von ihm gelernt?
Erstaunlicherweise habe ich von Anfang an die Partituren auf eine ganz ähnliche Weise gelesen wie Georg Szell, was unsere Zusammenarbeit deutlich vereinfachte. Szell war ein Meister der Diktion und der Phrasierung. Wenn er dirigierte, schien immer alles zu stimmen und sich in der richtigen Balance zu befinden. Das erreichte er beispielsweise, indem er ein Maximum an Transparenz anstrebte und somit ganz klar den architektonischen Bau eines Werkes in den Mittelpunkt seiner Interpretation setzte. Als Dirigent war er sehr streng und verlangte enorm viel von seinen Musikern, um diese extreme Detailarbeit und Klarheit zu erreichen. Absolute Perfektion war immer die Devise von Szell. Privat war er ein Mann mit sehr viel Humor, mit dem man tolle Gespräche führen konnte. Die zwei Jahre, die ich bei ihm lernen konnte, waren für mich zwei äußerst wertvolle Jahre.
In Amerika hat man jahrzehntelang von den sogenannten ‘Big Five’gesprochen. Doch nun erreichen auch andere amerikanische Orchester so langsam Fahrt und erhalten internationale Aufmerksamkeit. Sie haben sowohl in Philadelphia wie auch in Houston gearbeitet und sind seit sechs Jahren Chefdirigent des ‘National Symphony Orchestra of Washington’. Gibt es eigentlich heute noch große Qualitätsunterschiede zwischen den Top-Orchestern aus New York, Chicago, Philadelphia oder Boston?
Nein! Durch die Globalisierung konnten die Orchester aus der zweiten Reihe, wie eben Houston, Pittsburgh, Saint-Louis und Washington mächtig zulegen. Früher war es ja so, dass nur die ‘Big Five’ Auslandstourneen machen konnten und von den Schallplattenfirmen vorgezogen wurden. Heute haben viele andere Orchester enorm an Spielkultur und Qualität hinzugewonnen, so dass sie auf einer Stufe mit den sogenannten ‘Big Five’ stehen. Seit ich in Washington als Chefdirigent angetreten bin, konnte ich 22 neue Musiker rekrutieren, um die die in Rente gegangenen Spieler ersetzten. Darunter sind sehr viele erstklassige Solospieler. Angefangen hat es mit den Bläsern. Und diese arbeiten wiederum intensiv mit ihren Gruppen, so dass wir einen Schneeball-Effekt haben und sich dadurch die Qualität innerhalb des Orchesters quasi organisch und relativ schnell steigert. Inzwischen haben alle Musiker des ‘National Symphony Orchestra’ ein erstklassiges Niveau. Es ist nun ein Orchester mit sehr starken Persönlichkeiten.
Sie selbst waren am Anfang Ihrer Karriere Pianist und haben in den frühen Siebzigerjahren begonnen zu dirigieren. Wie ist es zu diesem Fachwechsel gekommen?
Sie haben mir vorhin eine Frage zum Klang gestellt. Und es war der Klang, der mich bewog, meine Karriere als Dirigent weiterzuführen. Sehen Sie, je mehr ich spielte, desto bewusster wurde mir, wie begrenzt doch das Klavier im Klang war. Ich habe immer sehr ‘instrumental’ gedacht, wollte auf dem Klavier den Klang dieses oder jenes Instrument hören. Was natürlich nicht möglich war und ich in meinem Ausdruckswillen sehr limitiert war. Ja, es war mein Drang zum Klang, der mich dazu brachte, mit dem solistischen Klavierspiel aufzuhören und als Dirigent weiterzumachen. Ich muss aber hinzufügen, dass ich immer noch Kammermusik mache und auch sehr gerne Liedbegleiter auftrete.