Diese Neuedition von fünf Bruckner-Symphonien und einigen Interviews zum Thema zeigt Franz Welser-Möst als hervorragenden Bruckner-Dirigenten. Wenn auch der Ansatz abhängig ist vom Aufnahmeort – ‘Severance Hall’, Musikverein Wien, Stiftsbasilika St. Florian – so ist es doch übergreifend das souverän-ruhige und auf Innenspannung zielende Konzept, das die fünf Interpretationen vereint.
Die Symphonien Nr. 4 in Es-Dur und Nr. 5 in B-Dur wurden in der Stiftsbasilika St. Florian aufgezeichnet. Für die Vierte greift Franz Welser-Möst auf die die letzte Version aus dem Jahre 1888 in einer rezenten kritischen Edition des amerikanischen Musikwissenschaftlers Benjamin Korstvedt zurück.
Wie in seinen anderen Bruckner-Interpretationen leben Welser-Mösts ‘Romantische’ und auch die Fünfte von den Kontrasten zwischen den kräftigen Passagen und den ruhigeren Stellen, die er sehr zart und reflektiv gestaltet. Nur scheint, dass er dieses Konzept hier noch – vielleicht unter dem Eindruck der Umgebung und der doch sehr halligen Akustik – verstärkt hat, mit zum Teil sehr langsamen Tempi. In der Fünften wird die erzielte Klangkultur der Musik gerecht. In der Vierten hingegen fehlt es mit etwas an Kraft. Der Dirigent gibt der Symphonie streckenweise einen direkt schwermütigen Charakter. Das zur Trauermusik ausartende Andante quasi allegretto hat nichts von Allegretto und fließt bedrückend dahin. Das folgende Scherzo ist etwas kräftiger und auch das spannungsvoll aufgebaute Finale bekommt gegen Schluss Brucknersche Größe.
Live in der ‘Severance Hall’ in Cleveland wurde im September 2008 Anton Bruckner Symphonie Nr. 7 aufgezeichnet. Diese Siebente ist etwas ganz Besonderes, sehr schlüssig in der ganzen Entwicklung, sehr zusammenhängend, sehr ausgewogen und sehr ruhig, sehr lichtvoll und voller Wärme. Welser-Möst geht mit größter Sorgfalt vor, mit ausgewogenen Tempi, er rundet und schleift eher ab, vermeidet also alles Kantige, jede Schärfe, er nuanciert delikat und erreicht eine wunderbar ausgeglichene Balance. Er legt Wert auf Klangschönheit, wie einst Karajan, aber ohne dessen orchestrale Grandeur, ohne den Strahlenglanz, dafür aber mit umso mehr Spiritualität. Er kann sich dabei hundertprozentig auf sein Cleveland Orchestra verlassen, das in dieser Aufführung wieder einmal beweist, dass es zu den allerbesten Orchestern der Welt gehört.
Auch der Livemitschnitt der Achten Symphonie entstand in der ‘Severance Hall’ in Cleveland. Welser-Möst dirigiert die Originalfassung von 1887, die ja heute immer öfter benutzt wird. Die Unterschiede zu der bekannteren späteren Fassung sind gewaltig: Die Orchestration ist reicher als die der revidierten Fassung. Einen strahlenden C-Dur-Schluss gibt es im ersten Satz, statt eines Pianissimo-Endes, ein anderes Trio im Scherzo, ein etwas intensiver formuliertes Adagio. Das Finale ist in der Urfassung 62 Takte länger als die Neufassung. Die Kürzungen und die Glättungen der Orchestrierung haben dem Satz letztlich viel an seinem gigantischen Charakter genommen, der hier prachtvoll von Welser-Möst wiedergegeben wird. Überhaupt muss man den Dirigenten und sein Orchester loben für diese spannende leidenschaftlich kraftvolle, kontrastreiche Darbietung und für die tiefschürfende Auslegung des Adagios.
Als ich die Urfassung in der Interpretation von Simone Young mit den Hamburger Philharmonikern (Oehms Classics) rezensierte, hatte ich noch eine Präferenz für die Zweitfassung. Doch das lag – Welser-Möst erbringt den Beweis – an der stürmischen Darstellung der amerikanischen Dirigentin. Welser-Möst zeigt, dass Bruckner bei allen Änderungen den Geist und den Charakter der Symphonie letztlich nicht veränderte.
Bruckners Unvollendete kommt aus dem Wiener Musikverein und wurde dort im Oktober 2007 aufgezeichnet.
Es ist eine packende Interpretation, gewaltig, grandios und ungemein spannungsvoll. Zu allererst muss man die Klangpracht des ‘Cleveland Orchestra’ und die Ausgewogenheit dieser Sonorität unterstreichen. Das hat schon etwas Begeisterndes, insbesondere, weil die Tontechnik einen angenehmen und sehr durchhörbaren, wunderbar räumlichen Surround-Klang geschaffen hat.
Eine schwungvolle, dezidierte Kraft gibt es im ersten Satz, die der Kompositionen das Reflexive freilich nicht nimmt. Das alerte und kraftstrotzende Scherzo mit seinen verspielten Nebenthemen und dem nicht weniger verspielten und quicklebendigen Trio führt die Werksicht konsequent weiter. Umso schmerzvoller kommt dann das Adagio daher. Nicht wegen schmerzlicher Klänge – die gibt es wohl auch sondern wegen der inneren Zerrissenheit der Musik zwischen Himmelhochjauchzen und tief betrübt, zwischen ängstlichem Vorangehen und grübelndem Stehenbleiben, zwischen Kraft und Resignation.