Auf Ihrem Album ‘Schwarze Erde’ setzen Sie die ungarische mit der austro-deutschen Liedtradition in Beziehung zueinander. Wie kamen Sie auf diese, auf den ersten Blick eher ungewöhnliche Kombination?
Corinna Scheurle (CS): Ich bin zweisprachig aufgewachsen, meine Mutter ist Ungarin. Ich wurde in Deutschland geboren, bin dann aber in Österreich groß geworden, insofern sind mir alle drei Kulturen und Sprachen vertraut. Als ich anfing, das ungarische Volks- und Kunstliedrepertoire zu erforschen, merkte ich, wie wunderbar und besonders und wie demzufolge zu Unrecht unterrepräsentiert diese Musik ist. Ich möchte gerne meinen Beitrag dazu leisten, dieses Repertoire öfter zu Gehör zu bringen.
Klara Hornig (KH): Da selbstverständlich auch das deutsche Kunstlied auf der Volksliedtradition fußt, die Ursprünge also ähnlich sind, hatten wir keine Hemmungen, dies alles zu kombinieren. Die konkrete Auswahl des Repertoires ist allerdings dem Konzept des Albums geschuldet: Geschichten vom Verlassenwerden, Verlassensein und vom Alleinsein (negativ wie auch positiv empfunden und konnotiert), von bevorstehendem Tod, aber auch von melancholischen, durchaus dankbaren Rückblicken auf das Leben.
Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten sehen Sie unter den Kompositionen auf Ihrem Album? Während Schumann und letzten Endes auch Alban Berg ja aus einer langen Traditionslinie des Kunstlieds schöpften, gibt es bei Bartók und Kodály die Situation, dass diese Komponisten eine neue Ebene suchten, die sie im ungarischen Volkslied fanden.
KH: Bei allem ist der Ursprung im Volkslied. Das deutsche Kunstlied durchläuft viele Phasen der Entwicklung – vor allem dank Schumann, der den Fokus auf Gleichberechtigung von Klavier und Stimme entschieden vorantrieb, Berg sich hingegen in teils frei-tonalen Miniaturen äußert. Bei den Volksliedern von Bartók dominiert das Bedürfnis nach der Ursprungserkundung, den Wurzeln. Dies ist aber auch z.B. bei Brahms zu finden.
CS: Das Bewusstsein, sich aus dem Volkslied heraus entwickelt zu haben, war bei Bartók und Kodály sehr präsent, sie forschten regelrecht danach, reisten in viele Teile der Welt und sammelten Volkslieder in allen möglichen Sprachen. Sie waren richtige Revolutionäre. Hörbar ist das Volksliedhafte natürlich vor allem in den Acht ungarischen Volksliedern. Doch auch Bartók schrieb hochromantische, auch impressionistisch angehauchte Lieder und die Gesängen Op. 6 von Kodály sprengen sowohl in der literarisch-lyrischen Grundlage als auch musikalisch-interpretatorisch den Volksliedrahmen. Er schlug früher als Kodály den eher impressionistischen Weg ein, ließ sich von französischen Komponisten wie z.B. Debussy inspirieren. Man weiß um den Ursprung, man spürt ihn, doch die Kompositionen gehen weit darüber hinaus.
Wie haben Sie sich den ungarischen Texten genähert? Ungarisch ist ja auch in der Aussprache eine der eher komplexeren Sprachen – hatten Sie, Frau Scheurle, durch ihren halb-ungarischen biografischen Hintergrund dabei einen Vorteil?
CS: Unbedingt! Ich hatte das Glück, diese Sprache von klein auf von meiner Mutter gelernt zu haben. Ich spreche sie fließend, kann sie auch lesen und schreiben. Deshalb ist es in erster Linie eine sehr schöne Erfahrung, auf Ungarisch zu singen – da macht sich wirklich ein Heimatgefühl bemerkbar. Da Ungarisch weder eine slawische noch romanische Sprache ist, sondern aus der finn-ugrischen Sprachfamilie stammt, ist diese für einen nicht ungarischen Zuhörer natürlich schwer zu greifen, aber dennoch oder gerade deshalb sehr interessant und besonders.
Der Titel des Albums bezieht sich auf das erste Lied des Albums von Bela Bartók Fekete főd (Schwarz die Erde) – ein wunderschönes Stück, aber mit einem Text, erfüllt von Schmerz und Trauer. Schmerz und Trauer scheinen sich dann auch wie ein roter Faden durch das Programm zu ziehen. Wieso haben Sie sich diesen eher dunklen Facetten des Lebens angenommen?
KH: Es gibt durchaus heitere Momente. Allen voran natürlich die sehr scherzhafte, neckische und konspirative ‘Verratene Liebe’ bei Schumann Op. 40/5. Auch Kodálys ‘Frühling’ (Nr.4) ist eine Hymne auf das blühende Leben.
CS: Generell gibt es besonders bei Kodály textlich sehr komplexe, nicht eindeutig destruktiv-negative Stellen. Häufig ist es Wehmut, oft aber auch nur Melancholie. Außerdem werden wichtige Fragen aufgegriffen wie z.B. nach Sinn und Erwartungen des Lebens, insofern würde ich es eher als philosophisch-betrachtend bezeichnen und nicht als nur dunkel.
KH: Das Album und auch das Leben sind geprägt von Gegensätzen. Um es auf den Punkt zu bringen: « Der Eine stirbt, daneben der Andere lebt: das macht die Welt so tiefschön.“ (Berg Nr. 4)
‘Schwarze Erde’ ist im bodenkundlich-landwirtschaftlichen Sinne besonders fruchtbar. Ist das auch eine Facette, die Sie aufgreifen wollten? Wie man ja im Leben auch manchmal den Eindruck hat, dass man gestärkt aus einer Lebenskrise hervorzugehen vermag?
KH: Ja, dieses Bild war uns wichtig. Genau wie das Volkslied der Nährboden der Liedtraditionen ist, stellt die Erde den Nährboden für alles Neu-Keimende dar. Das Leben führt in die Erde, aus der Erde entspringt Neues.
Wie kam es zur Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk und ihrem Label Solo Musica?
CS: Wir schickten dem Bayerischen Rundfunk unser Konzept, die Kombination der Stücke und besonders der Fokus auf das eher unbekannte ungarische Repertoire gefiel und so ergab es sich.
Wenn Sie das Programm des Albums live präsentieren, haben Sie da den Eindruck, dass das Publikum das Programm gut aufnimmt? Wir leben ja in einer Zeit, in der es leider wieder viele schlechte Nachrichten gibt, und in der Trauer und Schmerz in vielen Regionen der Welt leider wieder die Oberhand gewinnen. Mancher wünscht sich da eventuell ein musikalisches Kontrastprogramm, etwas, das einen eher aufheitert, als einem die Melancholie ins Konzert zu bringen?
CS: Wir erlebten das Publikum als ein sehr aufmerksames und hoch konzentriertes, welches das Programm dankbar und interessiert aufnahm. Es war berührend, die tief empfunden Reaktionen der Zuhörenden zu spüren.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Werden Sie weiter zusammenarbeiten? Gibt es vielleicht sogar schon Pläne für ein weiteres Album? Und falls ja: Was haben Sie aus ihrem ersten gemeinsamen Album gelernt, was würden Sie weitertragen wollen und was würden Sie heute vielleicht anders machen?
CS: Es gibt bereits Pläne für ein weiteres Album. Wir empfinden unsere Zusammenarbeit als eine großartige Bereicherung, als ehrliche und intime Auseinandersetzung mit der Musik, die wir gerne weiterführen werden. Aus der Arbeit an unserem ersten gemeinsamen Album habe ich persönlich wahnsinnig viel gelernt. Das geht mit der Vorbereitung los, mit der Einteilung der eigenen Kräfte, der Planung und dem Zeitmanagement der Aufnahme selbst.