Der französische Komponist Marc-André Dalbavie (*1961) hat so manches hinter sich gelassen, was zeitgenössische Musik in Frankreich ausmacht und schreibt heute eine alles andere als hermetische Musik, wie diese spannende CD des Seattle Symphony eindrücklich zeigt.
Das Programm beginnt mit dem Orchesterstück La Source d’un Regard (2007), einem Auftragswerk des Concertgebouw Orkest aus Amsterdam und des Philadelphia Orchestra. Die Hommage an Messiaen ist ein stimmungsvolles, extrem farbiges Werk, das zwischen meditativen sowie bewegungsreicheren Passagen wechselt.
Viel energetischer, ja geradezu aufgeregt und flatterhaft ist das Obenkonzert, das 2010 als Auftragswerk des Borletti-Buitoni Trust unter Jiri Belohlavek uraufgeführt wurde. Mary Lynch und Morlot bringen diese Nervosität spannungsvoll zum Ausdruck, wobei die Solistin die technischen Herausforderungen mit phänomenaler Virtuosität meistert.
Das Flötenkonzert ist ein Auftragswerk der Berliner Philharmoniker und des Tonhalleorchesters Zürich. Es wurde 2006 mit Emmanuel Pahud und den Berliner Philharmonikern unter David Zinman uraufgeführt. Auffällig sind in diesem Werk der Dialog zwischen dem Soloinstrument und dem Orchester sowie die sich daraus entwickelnden Zusammenhänge. Das Werk ist nicht so virtuos wie das Oboenkonzert, aber wenn man sich damit abgibt, ist es sehr spannend, weil man den Eindruck gewinnt, dass sich die Instrumente verfolgen. Das Orchester verfolgt die Flöte, aber innerhalb des Orchesters gibt es auch Verfolgungen. Das zeigt die Wichtigkeit des Orchesters, das weitaus mehr ist als nur ein Begleiter der Solisten.
Es kommt aber auch mehrmals zu Ruhephasen, in der sich die Flöte ruhig aussingen kann. Demarre McGill ist brillant im Virtuosen, kantabel in den ruhigen Passagen und meistert den Dialog mit dem Orchester spannungsvoll.
Das effektvolle Cellokonzert beschließt das Programm. Es ist ebenfalls ein spannendes Werk, in dem sich das Cello immer wieder aus den Umgarnungen des Orchesters befreien muss. Manchmal verschwindet es ganz im Orchesterklang, um dann wieder wie Phoenix aufzutauchen und davonzufliegen, denn der Cellopart hat tatsächlich etwas Volatiles in diesem Konzert. Jay Campbell ist in diesem dynamischen Spiel ein herausragender Solist, der dem höchst originellen und charakteristischen Werk nichts schuldig bleibt.
Ludovic Morlot und das Seattle Symphony sind in allen vier Werken wunderbare Sachverwalter der Musik von Dalbavie. Die oft huschenden Klangfiguren, die kräftigen Farbballungen, die orchestrale Virtuosität in der andauernden Geschäftigkeit des Orchesterklangs werden brillant gemeistert und immer in Relation gestellt. So gelingt es Morlot, die Musik zu einem Ganzen zu formen, Stimmungen und Spannungen zu erzeugen und damit der Gefahr einer oberflächlichen, aussagelosen Musik zu entgehen.