Daniel Behle, Sie werden oft als der legitime Nachfolger von Fritz Wunderlich beschrieben. Es wurde gesagt, sie würden eine lange unbesetzte Lücke füllen, nämlich die des lyrischen Liedsängers im Tenor-Fach.
Inwieweit diese Aussage stimmt oder nicht, kann ich nicht selbst beurteilen. Ich muss aber sagen, dass das Lied in den letzten Jahrzehnten viel zu intellektuell und zu elitär geworden ist. Seit Wunderlich hat sich musikalische Herangehensweise wesentlich verändert, und das nicht immer in eine gute Richtung. Dabei ist gerade das Lied für uns Musiker die innigste Form der Kommunikation. Aber auch durch Etatkürzungen und das Herausheben von sogenannten Events ist das Lied unpopulär geworden. Das gilt ganz besonders für Tenöre, die in der Oper weit mehr glänzen können als im Lied. Auch ist es wichtig, dass gerade wir uns nicht nur als Sänger, sondern als wirkliche Musiker sehen und mit einigen Klischees aufräumen. Der lyrische Tenor muss nicht unbedingt körperlos sein. Wunderlich hat uns mit seinem goldenen Glanz vorgemacht, wie intensiv und physisch man als lyrischer Tenor singen kann und vor allem, wie man das Publikum erreichen kann. Ein ausgeglichener Gesang muss nicht heißen, dass es ein gleichförmiger und eindimensionaler Gesang sein muss. Das kommt dann auch meistens als zu intellektuell, zu kühl herüber. Aber Achtung! Singen ist ein sehr intellektueller Prozess und das ist völlig legitim. Das hat jedoch überhaupt nichts mit einer langweiligen Interpretation zu tun, sondern ist die Basis allen Musizierens. Ich glaube auch, dass wir mit dem Lied wieder neu anfangen, dieser Gattung einen neuen Rahmen geben und uns elitärer Auffassungen entledigen müssen.
Doch zurück zu Wunderlich. Was unterscheidet Sie stimmlich voneinander?
Beide haben wir ein sehr individuelles Timbre, das man wiedererkennt. Wunderlich besaß aber einen italienisch-deutschen Vortragsstil der einmalig war. In seinem Gesang klang immer diese Träne, dieser Weltschmerz mit, mit denen er die Leute so berührte. Und er war ein Meister des Passaggio, also des nahtlosen Übergangs von Kopf- und Bruststimme. Ich bin in der glücklichen Lage, ein eben solches Passaggio zu beherrschen und ich finde es eigentlich traurig, dass diese Kunst, die einfach ein Muss ist, bei vielen Sängern überhaupt nicht vorhanden ist. Wenn ein Sänger das Passaggio nicht beherrscht, dann singt er meistens sehr interpretationsbetont und ausdrucksstark, gerade, um diese Manko zu überspielen. Beherrscht er es allerdings, dann stehen ihm immer alle möglichen Wege der Interpretation und des Gesangs offen. Und das ist wichtiger, als man denkt. Man kann dreimal das gleiche Programm singen und sich dabei jedes Mal in einer anderen stimmlichen Verfassung befinden. Mal singe ich heller, mal singe ich breiter, aber ich muss als Sänger immer imstande sein, meine Stimme zu kontrollieren und sie in eine korrekte Richtung zu lenken.
Ihr Vortrag selbst klingt sehr ausgefeilt, überlegt und kontrolliert, um jede Nuance in der Musik und im Text hörbar zu machen. Aber wie findet ein Sänger das richtige Gleichgewicht? Und wie spontan soll er dabei sein?
Sehr spontan! Vor allem im Konzert. Man muss da aber einen großen Unterschied machen zwischen einer CD und dem Konzertsaal. Eine CD ist ein Status quo. Da muss man die richtige Balance finden und seine Interpretation so anlegen, dass sie relativ breitgefächert ist. Es geht darum, eine allgemein gültige Deutung ohne allzu viele individuelle Attitüden zu erreichen, die man bestenfalls auch noch nach Jahren interessant findet. Das zeichnet ja auch die großen Einspielungen aus. Durch eine intelligente Interpretation bekommen sie quasi eine zeitlose Gültigkeit. Modisches Singen ist vielleicht spektakulärer, aber auch sehr schnell wieder out. Diese überlegte Interpretation bildet somit eine sehr sichere und ausgefeilte Basis, mit der ich im Konzertsaal spielen kann. Und je besser meine Technik ist, desto breiter ist mein Spielspektrum. Im Konzert gilt es, das Publikum miteinzubeziehen, und nicht, mich als Sänger vor die Musik zustellen. Vor allem aber muss ich dem Publikum die Freiheit zur eigenen Deutung lassen.
Ein außerordentlich wichtiger Faktor beim Singen, der oft unterschätzt wird, ist das Atmen.
Wenn man beim Sänger von Atmen spricht, dann meint man hauptsächlich das Ausatmen. Also: Hat der Sänger genug Luft, um diese oder jene Phrase bruchlos auszusingen? Viel, viel wichtiger ist beim Singen allerdings das Einatmen. Denn das Einatmen stellt für jede Phrase das Podium dar. Wenn ich nur kurz einatme, wird meine Phrase, meine Betonung eine ganz andere sein, als wenn ich tief einatme. Das Tempo, was ich also nehme, hängt von meiner Atmung ab. Und dieses Tempo muss ja auch mein Partner auf der Bühne kennen, sei es nun der Pianist, der Dirigent oder die Sopranistin im Duett. Für uns Sänger ist es deshalb enorm wichtig, die Partitur ganz genau zu erkennen und im Vorfeld dann auch zu wissen, bei welcher Phrase ich nun tief und bei welcher Phrase ich nur kurz einatme. Dabei sollen Ein- und Ausatmen immer eine gesunde natürliche Balance darstellen. Gerade beim Lied stellt die Phrasierung die größte Herausforderung dar und man muss als Interpret diese Kunst wirklich in- und auswendig beherrschen. Sonst wird der Vortrag durch zerhackte Konsonanten und zu lange Vokale, die in keinem Bezug mehr zu einander stehen, kaputtgemacht. Als Sänger muss man im Gesang nach Natürlichkeit suchen. Natürlich singen ist deshalb ebenso natürlich wie natürlich sprechen. (lacht)
Ist das auch eine Sache der Sprache? Italiener sprechen und phrasieren anders als Deutsche oder Franzosen.
Das ist richtig. Die Franzosen haben beispielsweise eine sehr filigrane Sprache, die für das Lied wie gemacht ist. Und die Lieder der französischen Komponisten haben musikalisch ihre ganz eigene Sprache. Sie wirken insgesamt viel feiner. Die deutsche Sprache ist dagegen viel härter und rhythmischer.
Sie haben Schuberts ‘Winterreise’ (Rezension hier) für Trio umgeschrieben. Wie kam es zu diesem Projekt?
Mein Kollege, der Pianist Oliver Schnyder hat kürzlich ein Klavier-Trio gegründet und wollte unbedingt etwas Besonderes machen. Da wir regelmäßig zusammen Liederabende gestalten und er auch weiß, dass ich komponiere, hat er mich angesprochen, ob ich etwas für sein Trio komponieren könnte. Mir kam natürlich sofort die ‘Winterreise’ in den Sinn, ein Werk, das so genial und universell ist, dass man es für verschiedene Instrumente und Instrumentengruppen transkribieren kann. Ich habe also versucht, den Klavierpart aufzuspalten und dabei die verschiedenen Melodien und Themen einfach auf die beiden Streicher zu übertragen. Das, was man sonst nur im Klavierpart hört, wird aufgelichtet und erhält durch die Übertragung auf ein anderes Instrument eine neue, und hoffentlich auch klarere Bedeutung. Die Themen werden so differenzierter vernommen und verleihen dem Werk ein ganz anderes Relief. Besonders die vielen Passagen und Hinweise, die in der Musik versteckt sind, werden verdeutlicht und hörbar gemacht. Wichtig war es mir, genau wie Schubert, die Musik über die 24 Lieder hinaus in einen logischen Aufbau zu setzen und über sie einen großen musikalischen und expressiven Bogen zu spannen.
Es ist dies aber nicht ihr erstes Projekt als Komponist. Was können Sie noch über den Komponisten Daniel Behle verraten?
(lacht) Was viele nicht wissen: Vor meiner Karriere als Sänger habe ich Posaune und Komposition studiert. Das erklärt auch, warum ich viel für Blechbläser geschrieben habe, so z.B. ein Werk für 8 Posaunen, ein Quintett und ein Tubaquartett. Ich habe aber auch andere Werke komponiert, einige Lieder und ein Streichquartett.
Würden Sie sich als einen modernen Komponisten bezeichnen?
Sagen wir es so, ich versuche freitonal zu komponieren. Und zwar so, dass die Musik Musik bleibt und dass man sie als Zuhörer auch anhören kann. Wenn man selbst Interpret ist, dann weiß man auch, was gut und was schlecht ist. Ich würde nie auf die Idee kommen, abstrakte Musik zu schreiben, da ich genau weiß, wie schwer und undankbar es für einen Interpreten ist, diese Musik umzusetzen. Ich lege mich als Komponist und Sänger auch nicht gerne fest und mache die unterschiedlichsten Projekte. Das kann die Bearbeitung von Schuberts ‘Winterreise’ für Klaviertrio sein, das können aber auch Operettenabende sein, Konzerte mit UFA-Klassikern oder den Liedern der ‘Comedian Harmonists’. Vielseitigkeit und Neugierde sind für mich enorm wichtig.
Was das Lied betrifft, so singen Sie aber momentan hauptsächlich das große klassisch-romantische Repertoire, Sie haben allerdings auch kürzlich eine Bach-CD gemacht. Wie legen Sie Ihr Repertoire fest?
Wie ich vorhin schon gesagt habe. Für mich als Interpreten sind Vielseitigkeit und Neugierde sehr wichtig. Die Lust am Ausprobieren will ich nicht verlieren. Allerdings muss ich mir dann auch meiner Grenzen bewusst werden. Demnach ist Vorsicht ein sehr wichtiger Faktor. Viele Sänger, und gerade Tenöre, haben oft die Tendenz, sich zu überschätzen und das falsche Repertoire zu singen. Ich weiß das aus Erfahrung. Ich habe so viele Tenöre an der Seite meiner Mutter verrecken sehen, dass ich trotz aller Liebe zum Experiment höllisch aufpasse. Ich bin allerdings in der glücklichen Situation, am Opernhaus Frankfurt in der Person von Bernd Loebe einen wunderbaren Mentor gefunden zu haben, der mich aus Sicht des Intendanten sehr kompetent begleitet. Er gibt mir die Chance, mich auszuprobieren. Zudem habe ich das Glück, dort ein fantastisches Ensemble zur Seite zu haben und perfekte Rahmenbedingungen vorzufinden. Mit Loebes Unterstützung werde ich höchstwahrscheinlich 2016 in Frankfurt als Lohengrin debütieren.
Demnach ist Planung auch sehr wichtig.
Auf jeden Fall! Als Künstler muss man einen Plan haben, den man auch einhalten soll. Sprunghaft dieses und jenes zu machen wirkt sich eher kontraproduktiv aus, besonders bei uns Sängern. Natürlich muss man immer berücksichtigen, wie sich die eigene Stimme entwickelt. Aus dieser Entwicklung heraus, sollte man dann seine nächsten Schritte planen. Und natürlich soll man auch verschiedene Rollen als Sprungbrett benutzen. Wenn ich den Lohengrin mache, dann will ich diese Rolle nicht nur einmal singen. Der Frankfurter ‘Lohengrin’ soll demnach auf für mich ein Sprungbrett sein.
Sie haben vorhin Ihre Mutter, die Sopranistin Renate Behle, erwähnt, bei der Sie auch Gesangsunterricht hatten. Hat Sie großen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Stimme genommen?
Sie hat mich vor allem auf die Idee gebracht, Sänger zu werden. Ich muss auch sagen, dass ich als Posaunist nicht so begabt war. Bei meiner Mutter habe ich dann das Handwerk des Singens gelernt. « Durch die Nase pressen und den Hintern zusammen », war ein typischer Spruch meiner Mutter. Also die Gesamttechnik und das für mich sehr, sehr wichtige Passaggio. Natürlich war auch der tägliche Unterricht von Nutzen, gerade so wie die immensen Erfahrungen meiner Mutter auf internationalen Bühnen.
Aber da gab es noch einen anderen Lehrer, der sie sehr geprägt hat.
Ja, und das war auch sehr wichtig. Meine Mutter war für das rein Technische zuständig. Für die Interpretation war James Wagner verantwortlich. Er war als Sänger in Kassel engagiert und hat später sehr lange in Lübeck und Hamburg unterrichtet. Zudem hatte er eine sehr große Erfahrung als Konzertsänger. Wagner hatte eine sehr starke Persönlichkeit und ein sehr angenehmes Über-Ego. Vor allem war er ein sehr emotionaler Sänger. Er sagte immer « Atme den Raum ein. Lass’ den Engel in dein Herz. » In Sachen Technik habe ich kaum etwas von ihm gelernt aber er hat mir die Kunst der Interpretation beigebracht, er hat mich gelehrt, ein Tenor zu sein.
Würden Sie sich heute eher als ein Lied-, Konzert- oder Opernsänger bezeichnen?
In meinen Wurzeln bin ich schon eher ein Opernsänger. Ich liebe die Farben, die großen Gefühle, ich liebe es, mit dem ‘dicken Pinsel zu malen’. Ja, auf der Opernbühne fühle ich mich sehr, sehr wohl. Ich merke auch, dass ich mich da sehr gut entwickle. Nach Mozart, den ich immer noch sehr gerne singe, kommt nun Strauss und für 2015 ist Erik im ‘Fliegenden Holländer’ geplant. Allerdings singe ich auch das Liedrepertoire schon sehr lange. Aber das ist wiederum eine ganz andere Welt. Viel intimer, viel schwieriger, viel anspruchsvoller. Das Konzert ist wiederum etwas ganz anderes. Für mich ist es interessant, es dann und wann zu machen, aber eine richtige Befriedigung findet man als Sänger auf der Konzertbühne sicherlich nicht. Wir hatten ja vorhin über die Planung gesprochen. Es ist schon wichtig auch zu planen, wie viel Oper, wie viel Lied und wie viel Konzerte man in einer Spielzeit singt.
Wie halten Sie denn Ihre Stimme gesund?
Da gibt es schon einige wichtige Regeln, an die ich mich auch halte: Erstens: Mit Mutter üben. Zweitens: Mit Mutter üben, und zwar, dass ich den Idomeneo von Anfang bis Schluss durchhalte und nicht im dritten Akt schlapp mache. Drittens. Nicht neidisch sein. Und viertens. Nicht zu gierig werden und nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Denn: « Willst Du was gelten, mach Dich selten »!